Jeder Besuch am Geldautomaten demütigt Alice (Eva Löbau). Foto: Filmperlen - Filmperlen

Wer seinen Job verliert und vergeblich nach einem neuen sucht, hat’s schwer. Lucia Chiarla zeigt in ihrem neuen Drama „Reise nach Jerusalem“ Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit.

Esslingen„Es gibt heutzutage keine größere Chance, als einen Job zu haben“, weiß die Regisseurin Lucia Chiarla. „Wer Arbeit hat, macht sich davon gar keine Vorstellung. Denn auf Arbeitssuche zu sein, ist anstrengender als zu arbeiten. Arbeitslos sein heißt: morgens aufzuwachen und nicht zu wissen, was man bis zum Abend machen wird. Es bedeutet, dass man anfängt zu glauben, irgendetwas mit einem selbst sei nicht richtig. Und noch schlimmer ist es, wenn auch die Anderen anfangen, das zu glauben.“ Was es heißt, verzweifelt nach einem Job zu suchen und trotzdem auf der Strecke zu bleiben, zeigt Lucia Chiarla in ihrem Kinodrama „Reise nach Jerusalem“. Genau wie im gleichnamigen Partyspiel dreht Protagonistin Alice ihre Runden, doch am Ende ergattert sie nie den freien Platz.

Alice (Eva Löbau) hat mit ihren 39 Jahren eigentlich noch gute Chancen. Doch was sie auch versucht – die anderen sind schneller. Mehr und mehr leidet sie: Das Geld ist chronisch knapp und jeder Gang zum Bankomaten wird zur Demütigung, weil Alice nie weiß, ob der Automat die Karte schluckt, weil das Konto überzogen ist. Trotzdem versucht sie, die Fassade der Normalität aufrechtzuerhalten: Weil man in Zeiten, in denen nur von Vollbeschäftigung und Fachkräftemangel die Rede ist, keinem vermitteln würde, dass man alles probiert und trotzdem im Abseits steht, gibt sie sich gegenüber Freunden und Familie als erfolgreiche Freiberuflerin aus. Und es gibt niemanden, dem sie sich anvertrauen kann. Tatsächlich lässt sich Alice vom Jobcenter in immer neue Trainingsmaßnahmen schicken, doch mit jedem vergeblichen Bewerbungsversuch wird ihr klarer, dass sie aus der Warteschleife einfach nicht herauskommt. Irgendwann hat sie die Faxen dicke, wirft alles hin – und gerät damit nur noch tiefer in die Bredouille, weil das Jobcenter prompt ihre ohnehin kärglichen Bezüge reduziert. Trotzdem muss sie irgendwie versuchen, nicht auch noch das letzte bisschen Halt im Leben zu verlieren ...

Wenn von Arbeitslosen die Rede ist, haben viele eher Zahlen als Gesichter vor Augen. Dabei steht jeder und jede Arbeitslose für ein individuelles Schicksal. Lucia Chiarla gibt Menschen wie Alice ein Gesicht. Behutsam nähert sie sich ihrer Protagonistin und damit den Facetten der Arbeitslosigkeit. Und sie zeigt, was es mit Menschen macht, wenn sie unbedingt arbeiten wollen und stets den Kürzeren ziehen. „Reise nach Jerusalem“ lebt von einer berührenden Geschichte, mit der die Regisseurin und Drehbuchautorin zeigt, dass sie nachvollziehen kann, wie sich diejenigen fühlen, die selbst in wirtschaftlich positiven Zeiten abgehängt werden. Vor allem aber punktet der Film mit seiner großartigen Hauptdarstellerin. Eva Löbau, in Waiblingen geboren, zeigt Alice als Frau, die immer wieder versucht, zurück in die Erfolgsspur zu finden, und die trotzdem ständig vom wahren Leben ausgebremst wird. Und die sich trotz aller Nackenschläge immer noch ein Fünkchen Hoffnung bewahrt. Jede neue Bewerbung empfindet sie als kleinen Silberstreif am düsteren Horizont. Und wenn sie dann nach einigen Wochen nachfragt und minutenlang nur in der Warteschleife geparkt wird, ehe die nächste Absage folgt, kann man in ihrem Gesicht die ganze Geschichte ihres trostlosen Daseins ablesen. Und man muss mit ansehen, wie es für sie immer selbstverständlicher wird, dass ihr das Schicksal einfach keine Chance mehr gibt.

Lucia Chiarla erzählt die Geschichte einer Frau, für die Arbeitslosigkeit zur Sackgasse wird. Doch so tragisch das Thema im Allgemeinen und diese Geschichte im Besonderen sind: „Reise nach Jerusalem“ rutscht nie in schiere Tristesse ab, sondern lässt trotzdem ein wenig Platz für fein dosierten Humor und sogar etwas Hoffnung.