Honeckers Kleider passen Otto Wolf (Jörg Schüttauf) perfekt. Foto: DCM Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Esslingen - Manchmal greift der Zufall unbemerkt ins Rad der Geschichte, und keiner ahnt, wie es wirklich dazu kam, dass sich Ereignisse von welthistorischer Bedeutung in die eine oder andere Richtung entwickelt haben. Denn Politik kann viel profaneren Regeln folgen, als viele glauben - und als mancher Politiker uns glauben macht. Bis heute fragen sich viele, wie die DDR trotz ihres ausgeklügelten Systems von Repression und Bespitzelung 1989 so sang- und klanglos untergehen konnte. Franziska Meletzky bietet in ihrer neuen Politkomödie „Vorwärts immer!“ eine Erklärung, über die man sich köstlich amüsieren kann. Und die manche an Ernst Lubitschs Filmklassiker „Sein oder Nichtsein“ erinnert.

Anna (Josephine Preuß) hat genug vom Leben in der DDR - und von der Anpasserei ihres Vaters Otto Wolf (Jörg Schüttauf), der sich als erfolgreicher Schauspieler mit dem System arrangiert hat. Dass die Zeichen einer politischen Götterdämmerung Ende der 80er-Jahre immer unübersehbarer werden, kümmert ihn nicht. Viel mehr Gedanken macht er sich darüber, weshalb sein Rivale Harry Stein (Devid Striesow) so viel erfolgreicher ist als er. Dass Anna ausgerechnet mit Steins Sohn Matti (Marc Benjamin) heimlich turtelt, ahnt Otto nicht. Als die junge Dame schwanger wird, entschließt sie sich, die DDR zu verlassen. Ihre Mutter hatte schon früher in den Westen „rübergemacht“ und schickt Anna einen falschen West-Pass. Doch ihr Vater bekommt Wind von Annas Plänen und zerreißt den Pass.

Hilfe bekommt Anna von August (Jacob Matschenz), der sich der Protestbewegung gegen das alte System angeschlossen hat und fürs Westfernsehen heimlich filmt. Mit ihm fährt sie zur Montagsdemo nach Leipzig, um sich dort einen neuen Pass zu suchen - dass ihr Matti und die Stasi auf den Fersen sind, ahnt sie nicht. Als Otto zufällig erfährt, dass die Leipziger Demo mit Waffengewalt aufgelöst werden soll, was Anna in größte Gefahr bringen würde, entschließt er sich zusammen mit einigen Kollegen vom Theater zu einem kühnen Plan: Weil er Erich Honecker begnadet zu imitieren vermag, schlüpft Otto kurzerhand in die Klamotten des Staatsratsvorsitzenden, der gerade auf Jagd in Wandlitz ist. Honis Abwesenheit will Otto nutzen, um den Schießbefehl zurückzunehmen. Doch da hat Honeckers Frau Margot (Hedi Kriegeskotte) auch noch ein Wörtchen mitzureden. Als die Sache aufzufliegen droht, wird’s brenzlig, doch Ottos Kollegen Hans (Andre Jung) und Egbert (Alexander Schubert) machen als Mielke und Krenz auch eine gute Figur ...

Mag sein, dass der Vergleich von Franziska Meletzkys neuem Film mit Ernst Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ etwas gewagt ist - viel Vergnügen bietet „Vorwärts immer!“ allemal. Manchmal gleitet die Geschichte etwas zu bereitwillig ins Klamaukige ab, doch im Grunde werden nur die Absurditäten, die die Gerontokratie der DDR damals gebar, kräftig zugespitzt. Und wer genau hinschaut, kann immer wieder ahnen, weshalb sich die Dinge im anderen deutschen Staat so entwickeln mussten, wie sie sich damals entwickelt haben.

Eine Handvoll Schauspieler schlüpft in die Klamotten von Honecker, Mielke und Krenz, um ein drohendes Blutbad bei der Leipziger Montagsdemo am 9. Oktober 1989 zu verhindern. Diese reichlich fantasievolle Interpretation der damaligen Ereignisse wird bis ins Absurde überspitzt, doch bei näherem Hinsehen hat Franziska Meletzkys satirisch angehauchte Politkomödie ihre durchaus erhellenden Seiten.