Regisseurin Valeska Grisebach ist mit „Western“ eine starke Premiere in Cannes gelungen. Foto: Handout/Coop99Film/Festival de Cannes/dpa Quelle: Unbekannt

Von Aliki Nassoufis

Cannes- Der deutschen Regisseurin Valeska Grisebach ist eine starke Premiere beim Filmfest Cannes gelungen. Die 49-Jährige stellte gestern ihren Beitrag „Western“ in der renommierten Nebenreihe „Un Certain Regard“ vor. Der Film erzählt mit zahlreichen Westernelementen und einem präzisen Blick für seine Protagonisten von deutschen Bauarbeitern, die für einen Auftrag in die Nähe eines bulgarischen Dorfes kommen. Im Wettbewerb brachte hingegen der US-Amerikaner Todd Haynes Julianne Moore und Michelle Williams an die Croisette.

Grisebach beobachtet, wie sich die unterschiedlichen Kulturen argwöhnisch beäugen und besonders der Vorabeiter der Deutschen durch sein machohaftes und sexistisches Verhalten für Probleme sorgt. Ein anderer Arbeiter, Meinhard, hingegen versucht, auf die Dorfbewohner zuzugehen. Er findet bald Anerkennung und Freunde, landet aber zwischen den Fronten. „Western“ wird so zu einem spannenden und atmosphärisch dichten Werk über eine kleine Gemeinschaft, die vom Rest der Welt isoliert scheint. Das Werk, für das Grisebach auch das Drehbuch schrieb, wurde maßgeblich von Maren Ades („Toni Erdmann“) Produktionsfirma finanziert. Für Grisebach („Sehnsucht“) ist es der erste Film in Cannes.

Todd Haynes hingegen war 2015 mit „Carol“ schon einmal im Wettbewerb. Er zeigte dort nun erneut ein Werk, das in der Vergangenheit spielt. Er inszeniert „Wonderstruck“ auf zwei Zeitebenen und lässt darin jeweils ein gehörloses Kind von Zuhause abhauen und nach New York fliehen: Die Episode von Rose spielt in den 1920er-Jahren und ist in Schwarz-Weiß gefilmt. Bens Geschichte hingegen ist in den 1970er-Jahren angesiedelt und fängt das Lebensgefühl mit Soul und David-Bowie-Musik wunderbar stimmungsvoll ein.

Bei der 70. Auflage des Filmfestivals, das noch bis zum 28. Mai dauert, tauchen auffallend häufig politische Themen auf: Der Österreicher Haneke, der als erster drei Goldene Palmen gewinnen könnte, erzählt in „Happy End“ eine Geschichte vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise. In „Aus dem Nichts“ von Fatih Akin verliert Diane Kruger bei einem Anschlag ihre Familie - verdächtigt werden Neonazis. Der Ungar Kornél Mundruczó hingegen fokussiert in „Jupiter‘s Moon“ auf das Leid eines illegalen Einwanderers, während außerhalb des Wettbewerbs Dokumentationen über Al Gores Kampf gegen den Klimawandel und Claude Lanzmanns Blick auf Nordkorea hinzukommen.

„Nicht das Festival ist politisch, sondern die Filmemacher sind es“, betont Leiter Thierry Frémaux. Dennoch macht die diesjährige Auswahl auch klar, dass das Festival nicht nur auf bekannte Namen setzen kann, sondern offen für Trends und Neues sein muss. So gehören zu den 19 Beiträgen im Wettbewerb zwar Werke etablierter Regisseure wie Haneke, François Ozon, Todd Haynes und Sofia Coppola. Doch es gibt auch weniger bekannte Gesichter wie den in Berlin lebenden Ukrainer Sergei Loznitsa und die US-Brüder Benny und Josh Safdie, die Robert Pattinson als Bankräuber zeigen. Die größten Überraschungen aber betreffen die Produktionsfirmen und Formate. So zeigt Cannes zum ersten Mal in der 70-jährigen Geschichte zwei Serien in Sondervorführungen: Teile der zweiten Staffel von „Top of the Lake“ der Oscarpreisträgerin Jane Campion sowie David Lynchs Fortsetzung der bahnbrechenden Serie „Twin Peaks“, die zu Beginn der 1990er-Jahre ein Meilenstein in der TV-Unterhaltung war. Noch bemerkenswerter ist allerdings, dass im Wettbewerb große Hollywoodstudios wie Sony, Warner und Fox fehlen. Stattdessen ist der Streamingdienst Netflix gleich mit zwei Produktionen im Palmenrennen vertreten: mit dem Drama „The Meyerowitz Stories“ mit Ben Stiller und Emma Thompson sowie dem südkoreanischen Beitrag „OKJA“ mit Tilda Swinton und Jake Gyllenhaal. All das sind Belege für den Wandel in der Filmwelt, die neue Finanzierungswege beschreitet und in der Serien zur Konkurrenz des Kinos werden.