Von Aliki Nassoufis

Esslingen - Mit zahlreichen aufsehenerregenden Aktionen hat Ai Weiwei bereits auf die Schicksale von Flüchtlingen aufmerksam gemacht. Überhaupt sind die Krisen der vielen Heimatlosen und Entwurzelten derzeit das beherrschende Thema in Ai Weiweis Leben, wurde doch auch er in China verfolgt und lebt seit 2015 fern seiner Heimat in Berlin. Nun hat er über die weltweiten Flüchtlingsströme seinen ersten Film gedreht, die Dokumentation „Human Flow“. Der Künstler will nicht auf die Geschichte eines Flüchtlings oder auf einen einzelnen Krisenherd fokussieren. Stattdessen versucht er, die Katastrophe in ihrem globalen Ausmaß zu erfassen. Er zeigt, wie Flüchtlinge aus Nordafrika auf dem Mittelmeer gerettet werden und zitternd unter goldfarbenen Wärmedecken hocken. Wie Menschen in einem Zeltlager in der Türkei für Essen anstehen und wie verzweifelt andere an der geschlossenen griechisch-mazedonischen Grenze auf eine Weiterreise hoffen.

Geringer Erkenntnisgewinn

Es ist ein Mammutprojekt, für das Ai sein Team in mehr als 20 Länder geschickt hat. Besonders eindrucksvoll sind die Aufnahmen aus der Luft: wie riesig so ein Zeltlager irgendwo in der staubigen Wüste ist, wie viele Menschen zu Fuß durch Osteuropa laufen oder wie ein Schlauchboot wie eine Nussschale auf dem Mittelmeer hin und her schwankt. Es sind diese teilweise fast abstrakt und poetisch anmutenden Bilder, die am prägnantesten nachwirken. Ansonsten enttäuscht „Human Flow“. Denn die Dokumentation bleibt seltsam an der Oberfläche. Der Erkenntnisgewinn bleibt gering, zumindest für diejenigen, die die Nachrichtenbilder verfolgt haben.

Nur in wenigen Momenten erfährt man Konkretes über Flüchtlingsschicksale. Aber auch was die Ursachen und Folgen dieser Krisen sind, das reißt Ai in den 140 Minuten nur kurz an. Hinzu kommt, wie Ai sich selbst inszeniert und filmen lässt. Mal hilft er einem Flüchtling vom Boot, mal läuft er durch eines der vielen desolaten Lager, mal lässt er sich die Haare abschneiden. Doch diese Szenen lenken nicht nur von dem eigentlichen Thema des Films ab, sondern stören teilweise regelrecht. An einigen Stellen wird diese Selbstinszenierung sogar besonders ärgerlich, etwa wenn er eine Frau interviewt, die schluchzend zusammenbricht. Obwohl sie sich bewusst von der Kamera abwendet, gönnt ihr Ai minutenlang keine Privatsphäre, sondern bekommt stattdessen selbst ein paar Papiertücher herangereicht. Würde wirkliche Empathie nicht anders aussehen? So bleiben ein fahler Beigeschmack und das Gefühl, dass der Film den Flüchtlingen trotz viel Engagements nicht gerecht wird.

Er selbst lebt fern seiner chinesischen Heimat in Berlin, und auch mit seiner Kunst weist Ai Weiwei immer wieder auf Missstände im Umgang mit Flüchtlingen hin. Nun kommt sein erster Film zu dem Thema ins Kino.