15.11.2016 Die Händler bauen in Esslingen den Weihnachts- und Mittelaltermarkt auf.

 Foto: Redaktion

Von Claudia Bitzer

Da stehen Bäder und Blumenbeete zur Disposition, da wird um jeden Cent im Haushalt gerungen. Aber an Weihnachten ist die Welt in Esslingen noch in Ordnung. Neun Nadelbäume werden Innenstadt und Stadtteile zieren. Acht davon stehen laut Grünflächenamt schon an Ort und Stelle stramm. Und die Numero neun bringt in diesem Jahr erstmals weihnachtliches Grün auf die Wüste am Bahnhofplatz. Etwa 30 000 Euro – bezahlt aus dem Budget des Kulturamts – lässt sich Esslingen die leuchtende Bäumchenparade jährlich kosten.

Panoramabild vom Aufbau auf dem Marktplatz (Foto: Buschhaus)

Wenn jetzt einer glaubt, dass man das ja wohl auch von seiner Stadt erwarten kann, der muss nur gen Nordwesten schauen. Genauer gesagt: nach Düsseldorf. Die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt hatte bislang immer einen großen Baum aus dem befreundeten norwegischen Lillehammer bekommen und ihn vor dem Rathaus platziert. Nachdem sich die Stadt aus dem hohen Norden in diesem Jahr aus dieser Tradition verabschiedet hatte, regten die Düsseldorfer Grünen und die örtlichen Baumschützer an, keine Tannen extra für das saisonale Event zu schlagen. Stattdessen solle man an einer auserlesenen Stelle ein neues Gehölz pflanzen und das jedes Jahr als „lebenden Weihnachtsbaum“ dekorieren. Immerhin brauche eine zehn Meter hohe Tanne Experten zufolge rund 30 Jahre, bis sie auf dieses Gardemaß komme – um dann auf dem Müll zu landen.

Geben und nehmen

Auch die 15 Meter hohe Rotfichte, die in diesem Jahr das Alte Rathaus in Esslingen ziert, dürfte rund 25 Jahre in den Wurzeln haben. Das schätzt jedenfalls Gärtnermeister Horst Kiesel vom Grünflächenamt. Aber die Stadt Esslingen verfährt mit ihren Weihnachtsbäumen schon seit Jahren ressourcenschonend. Denn der Baum stammt wie seine Artgenossen, die in Hegensberg, Oberesslingen, Berkheim, Zell, Wäldenbronn, Mettingen und am Esslinger Bahnhof zu saisonalen Gastarbeiten mutieren, aus Privatbesitz. Das Grünflächenamt bittet alle Jahre wieder die Esslingerinnen und Esslinger um eine Baumspende zur Weihnachtszeit. Dabei ist Geben seliger denn Nehmen: Denn in der Regel handelt es sich um Gewächse, die ihren Besitzern zu groß geworden sind oder aus anderen Gründen fallen sollen – also ohnehin dem Tode geweiht sind. Sie werden gefällt und abtransportiert – wohlgemerkt auf Kosten der Stadt. „Wir achten bei der Auswahl aber schon darauf, dass wir einigermaßen problemlos an diese Bäume herankommen können“, erzählt Kiesel.

Eine Praxis, mit der auch die Esslinger Grünen leben können. „Die Bäume würden ja ansonsten auch gefällt. So sind sie wenigstens noch eine Weile Weihnachtsbaum“, meint Fraktionschefin Carmen Tittel ganz pragmatisch. „30 000 Euro sind zwar angesichts der Haushaltskonsolidierung eine Menge Geld. Aber wir könnten der Bevölkerung schwer vermitteln, dass wir kein Geld mehr für Weihnachtbäume haben. Das ist sicher auch nicht unser dringendstes ökologisches Problem. Man muss da die Kirche schon im Dorf lassen.“

Vor dem Rathaus Größe zeigen

Die Weihnachtsbäume liegen, wie Rathaussprecher Roland Karpentier versichert, nicht nur den Fraktionen, sondern auch der Verwaltungsspitze sehr am Herzen. Zumal es mitunter halt doch auf die Größe ankommt. „Vor dem Alten Rathaus brauchen wir jedes Jahr ein besonders prächtiges Exemplar“, berichtet Kiesel. Denn vor der mittelalterlichen Kulisse wird selbst ein Hochgewächs aus dem eigenen Garten schnell zur Miniaturausgabe. Dabei scheut die Stadt auch keine Mühen, ein Prachtexemplar für fünf, sechs Wochen auf die Bühne des öffentlichen Lebens zu hieven. Die Rotfichte einer Esslinger Familie, die in diesem Jahr den Zuschlag für den Premium-Standort auf dem Rathausplatz bekommen hat, ist mit ihren 15 Metern nicht nur sehr hoch. Und mit ihren zwei bis drei Tonnen nicht nur sehr schwer. Ihre Zweige sind auch so ausladend, dass der Transporter sie erst nachts von ihrem angestammten Platz an der Barbarossastraße an ihren letzten Standort bringen konnte. Nach dem Dreikönigstag wird das Grünflächenamt sie dann an Ort und Stelle zerlegen, bevor sie in der Häckselmaschine auf der städtischen Kompostieranlage ihr Ende findet.

Weihnachtswunder am Bahnhof

Doch soweit sind wir noch lange nicht. Gestern wurde die Rotfichte erst einmal geschmückt. Das macht zum ersten Mal nicht mehr der städtische Baubetrieb, sondern eine externe Firma. Und weil die Vorweihnachtszeit nicht nur alle stresst, sondern immer auch überraschend kommt, hat die Zeit für eine Ausschreibung nicht gereicht. Die soll es, so Rathaussprecher Karpentier, im nächsten Jahr aber geben.

Einen einzigen geeigneten Rathaus-Kandidaten für die kommenden Jahre hat das Grünflächenamt noch auf der Warteliste. Deshalb ist man für weitere Angebote immer dankbar. Und was ist mit lebenden Weihnachtsbäumen? „Die wären höchstens in Berkheim, vielleicht noch auf dem Kreisel in Wäldenbronn möglich“, so Kiesel. „Dann hört es auch schon auf.“ Ans Alte Rathaus oder gar den Bahnhofplatz mag er gar nicht denken. „Das geht gar nicht bei dem, was da alles im Untergrund verbaut ist“, sagt auch Amtsleiter Burkhard Nolte. Also doch nur ein zeitlich befristetes Weihnachtswunder für den Bahnhofplatz. Das aber – hoffentlich – alle Jahre wieder.

Mein Freund der Weihnachtsbaum

Der größte lebende Weihnachtsbaum Deutschlands steht laut Rheinischer Post in Wermelskirchen im Bergischen Land. Dabei handelt es sich um einen 26 Meter hohen kanadischen Mammutbaum, der mit Lichterketten geschmückt wird. Er bringt es auf stattliche 146 Jahre und war früher in einem privaten Garten beheimatet. Jetzt wurzelt er in städtischem Grund etwa 300 Meter vom Rathaus entfernt und ist fixer Treffpunkt in der Adventszeit.

Ähnlich wie Esslingen verfährt der Zeitung zufolge zum Beispiel auch die Kleinstadt Hückeswagen an der Wupper. Die Tanne, die dort jährlich vor dem historischen Schloss platziert wird, stammt immer aus Privatgärten, deren Besitzer sie loswerden wollen. Im Gegensatz zu Esslingen werden Fällen, Transport und Aufstellen des Baums aber nicht von der Stadt gestemmt oder bezahlt, sondern von Handwerkern, die das ehrenamtlich tun.

Auch in den Privathaushalten hält sich der Einmal-Baum deutlich vor Topfgewächsen. Die nehmen laut Bundesverband der Weihnachtsbaumerzeuger nur weniger als ein Prozent der Kundschaft mit nach Hause. Offenbar noch nicht ganz ausgereift ist auch die Idee des Düsseldorfer Start-Up-Unternehmens Happy Tree, das Nordmanntannen zum Ausleihen anbietet. Die Bäume werden mit ihren Wurzeln vor Weihnachten gebracht, dann wieder abgeholt und in die Erde gepflanzt, wo sie sich für den nächsten Einsatz wieder erholen sollen. „Nach langen und intensiven Gesprächen mit Tanneliese, Baumgard, Waldemar und Thorwald waren wir uns allerdings einig, dass unsere Happy Trees noch ein Jahr brauchen, um zu alter Stärke zurück zu finden. Wir haben es uns mit der Entscheidung nicht leicht gemacht, aber das Wohl der Bäume steht für uns an oberster Stelle. Daher bleibt der Happy Tree-Shop in 2016 geschlossen“, wird die Kundschaft auf der Internetseite aufs nächste Jahr vertröstet.