Von Norbert Wallet

Mitten im Bundestagswahlkampf sind sich Politiker aller Parteien in einer Frage einig: Sie finden es richtig, die Wahlperiode des Deutschen Bundestages auf fünf Jahre zu verlängern. Dafür bringen sie allerlei Argumente vor, einige davon klingen plausibler als andere. Aber diese Pläne sind mit Vorsicht zu genießen.

Bei den Bürgern sollten alle Alarmglocken schrillen. Entkleidet von aller mehr oder weniger überzeugenden Rhetorik bleibt nämlich bei allen Argumentationen ein nacktes Faktum übrig: Die Ausdehnung der Wahlperiode von heute vier auf dann fünf Jahre kostete den Wähler in einer Frist von 20 Jahren eine komplette Bundestagswahl. Deshalb kann man zwar alle vorgebrachten Argumente beleuchten und diskutieren. Aber immer hinzugedacht muss der Sachverhalt werden, dass eine längere Wahlperiode zwangsläufig weniger Mitsprache, weniger Kontrolle und weniger Beteiligung bedeutet. Dass allen Ernstes vorgetragen wird, längere Perioden, also weniger Wahlen, würden eine bessere Politik bedeuten, ist deshalb eine ziemlich unverstellte Form der Wählerverachtung.

Von Bundestagpräsident Lammert stammt das Argument: „Nirgendwo wird so oft gewählt wie bei uns. Das fördert die Wahlbeteiligung erkennbar nicht.“ Mag sein. Aber wenn Wähler nur noch jedes halbe Jahrzehnt die Chance zur Mitsprache auf Bundesebene hätten und dazwischen auch nicht per Volksabstimmungen zu bundespolitischen Themen befragt werden, dann ist die Entkoppelung von Alltag und politischem Prozess so eklatant, dass das Desinteresse mangels Eingriffsmöglichkeit nur noch weiter steigen würde.

Vorgebracht in der Diskussion wird auch der Hinweis, die vierjährige Zeit zum Regieren sei eben sehr knapp. Kaum sei der Wahlkampf vorbei, käme schon der nächste. Die 555 Gesetze, die der Deutsche Bundestag in der abgelaufenen Legislaturperiode verabschiedet hat, sprechen eine andere Sprache. Die Bürger hätten durchaus nichts dagegen, wenn im Wege der Selbstbeschränkung das Parlament weniger Regelungswut an den Tag legte. Nicht nur die nun zu Ende gehende Legislaturperiode zeigt übrigens, dass vier Jahre ziemlich lang werden können. Der Koalitionsvertrag jedenfalls war schon nach der Hälfte der Strecke weitgehend abgearbeitet - und danach begann ein quälender Prozess tagespolitischen Klein-Kleins, den man sich nun wirklich nicht um ein weiteres Jahr verlängert vorstellen möchte. Mal abgesehen davon, dass immerhin dreimal (in den Jahren 1972, 1983 und 2005) die Politik selbst vorzeitig Neuwahlen herbeiführte.

Bleibt ein letztes Argument: Die Gesetze würden einfach besser, wenn mehr Zeit da sei. Sachlich ist das ohnehin falsch. Schon heute sind die Verhandlungsprozesse in den jeweils regierenden Koalitionen mitunter quälend lang. Ein Jahr mehr führte eher zu einer Politik der langen Bank, in der Hoffnung, dass die Zeit manche Konflikte von selbst beilegt, was natürlich nie der Fall ist.

Eines aber ist wohl richtig: Vielleicht hätten Politiker mehr Mut zu notwendigen, aber unbequemen und unpopulären Entscheidungen, wenn sie nicht so bald schon wieder vor des Wählers Richterstuhl stehen müssten. Ist das wirklich ein Grund, den Bürgern binnen zwei Dekaden eine ganze Bundestagswahl wegzunehmen? Sicher nicht. Wer mit solchen Argumenten hantiert, bestraft den Wähler für die eigene Feigheit. Eine mutige Politik wird dagegen von den Wählern durchaus honoriert, wenn sie in vernünftiger Art und Weise begründet wird. Dass dieser Zwang, die eigene Politik zu erklären, gemindert wird, wenn seltener gewählt wird, ist sogar das stärkste Argument gegen die Verlängerung der Legislaturperiode.