Von Detlef Drewes

Die Menschen werden sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass der Ruf nach autofreien Innenstädten nicht länger mehr nur eine unsinnige grüne Vision bleiben kann. Zumindest nicht, so lange unsere Autos, Lkws und Busse Stick- und Schwefeldioxide in die Luft blasen, denen ein Großteil der Bevölkerung in den Ballungsräumen hilflos ausgesetzt ist. 467.000 Opfer, die durch Feinpartikel krank wurden und schließlich starben, darf man nicht als bloße Statistik zur Seite schieben.

Was die EU-Experten gestern vorgebracht haben, passt zu dem Ziel der deutschen Länderregierungen, bis 2050 überhaupt keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mehr in die Citys zu lassen. Aber selbst dieses ehrgeizige Ziel klingt noch viel zu weit weg, um all jenen, die heute leben, helfen zu können. Dass die Fachleute fast schon im gleichen Atemzug die Qualität der Gesundheitsfür- und -vorsorge kritisieren, weil sie in weiten Bereichen der Union nicht den Notwendigkeiten entsprechen, verdüstert das Bild zusätzlich. Die Botschaft lautet: Wir machen uns selber krank, haben dann aber nicht die Instrumente, um Behandlungen durchzuführen. Das ist ein bitteres Zeugnis für die europäischen Staaten, aber mehr noch für jene, die zu den Opfern beider Entwicklungen werden.

Nun gehört das Thema Gesundheit nicht zu den Themen, für die Europa zuständig ist. Umso ernster darf man die vorgelegten Studien nehmen, weil sie frei von eigenen Interessen sind. Und weil sie Recht mit ihren Forderungen nach mehr Investitionen in eine Versorgungsstruktur haben, die Ursachen zu wirkungslos angeht und die Errungenschaften der Medizin nicht mehr für alle vorhält. Die von der EU-Kommission und der OECD gestern vorgelegten Zahlen belegen, dass sich Bürger von wirtschaftlich gesunden Staaten therapeutische Möglichkeiten leisten können, während Bewohner von weniger entwickelten europäischen Ländern nicht einmal die Chance auf Behandlung haben. Weil die Zahl der Ärzte sinkt, weil der Anteil der eigenen Kosten an den Behandlungen unerschwinglich wird. Weil gesundes Leben auch eine Frage des Geldbeutels ist.

Seit Monaten findet sich der Punkt „Langfristige Finanzierungen der Gesundheitssysteme“ auch auf den Tagesordnungen der EU-Finanzminister. Weiter gekommen sind sie noch nicht. Als ob es sich bei dieser Frage nicht um eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben überhaupt handeln würde. Dabei ist die EU spätestens an dieser Stelle doch wieder im Boot.

Denn auf europäischer Ebene werden nicht nur Höchstgrenzen für Schadstoffe erarbeitet, sondern auch um Ausnahmen für bestimmte Wirtschaftsbereiche gerungen. Für deren Folgen müssen dann zunehmend überforderten Gesundheitssystemen einspringen. Das ist nicht nur unsinnig, sondern auch verantwortungslos. Die Mitgliedstaaten finanzieren mit hohen Milliardenbeträgen ein europäisches Forschungsrahmenprogramm, von dem man konkrete Vorschläge für eine Krankheitsvorsorge ebenso wie für eine Gesundheitserhaltung erwarten kann. Der gleiche Elan, mit dem sich die EU für den Schutz des Klimas einsetzt, wäre auch für das Schaffen einer gesunden Umgebung nötig.