Fabian Schmidt fordert eine Renaissance der politischen Debatte. Alle müssen mitmachen. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Wenn die SPD-Mitglieder einer Großen Koalition zustimmen, wird die AfD die Opposition anführen. Dann ist die Renaissance eines politischen Diskurses unausweichlich.

Esslingen/BerlinNur noch das SPD-Mitgliedervotum trennt Deutschland von einer neuen alten Regierung. Mit einem Ja der Genossen zur Großen Koalition rückt automatisch die AfD in die Rolle der Oppositionsführerin – und das sollte für den politischen Diskurs Folgen haben. Proaktives Einmischen und eine Renaissance der politischen Debatte sind nun angebracht. Nicht Kopf schütteln, sondern Kopf waschen. Nicht weiter scrollen, sondern kommentieren. Die Auseinandersetzung ist unausweichlich. Auf Augenhöhe, hart in der Sache, respektvoll, aber nachdrücklich im Ton, mit Argumenten untermauernd, Faktenfehler entlarvend, emotional angemessen. Das gilt für Politikerinnen und Politiker genau wie für Bürgerinnen und Bürger. Das gilt im Beruf wie im Privatleben. Das gilt analog auf der Straße sowie digital im Netz. Das gilt für die eigene Echokammer, aber auch für die Welt außerhalb des eigenen Kosmos. Dort sogar umso mehr. „Geht’s raus und spielt’s Fußball“, hat Franz Beckenbauer 1990 gesagt. Geht’s raus und argumentiert gegen populistische Parolen, könnte es heute heißen.

Keine Einladung ist keine Option

AfD-Fraktionschefin Alice Weidel hat am vergangenen Sonntag in der ARD-Talkshow von Anne Will auf deren Frage nach der sachgrundlosen Befristung erst einmal mit einem „Gruß nach Cottbus“ geantwortet, wo die Bürger gegen „messerstechende Migranten“ auf der Straße demonstrierten. Solch eine Phrase erreicht ungefiltert ein Millionenpublikum. Alice Weidel nicht mehr einzuladen wäre aber die falsche Reaktion. Das tut vielleicht weh, aber man muss das aushalten. Denn nur so kann man umgehen, dass sich die AfD in ihrer Opferrolle suhlt, sich als Außenseiter, als Partei der Ausgegrenzten präsentiert.

Anne Will hat gut reagiert, nicht den Kopf geschüttelt, sondern erwähnt, dass dort zwei Gruppen auf der Straße sind – für und gegen ein tolerantes Miteinander. Fakten sind in der politisch hitzigen Debatte immer noch das beste Mittel. Man muss die argumentative Konfrontation suchen. Man darf auch nicht auf die AfD draufhauen, wenn es gerade gar nicht um sie geht. Man muss die Emotionen zügeln, damit eine Diskussion entstehen und fruchten kann.

Moderierende Rolle ist richtig

Natürlich sind auch die Medien gefragt. Wir kennen alle die „Lügenpresse“-Vorwürfe, am Sonntag prangerte Alice Weidel eine „einseitige Berichterstattung“ über die Vorfälle in Cottbus an. Mit Beispielen, dass dies nicht geschieht, könnte man sachlich reagieren. Journalisten müssen ferner – außer in Meinungsbeiträgen – neutral bleiben, sie dürfen sich als „Beobachter“ nicht voreilig auf die Seite der AfD-Gegner schlagen. Die moderierende und berichtende Rolle ist die richtige. Denn die Bürger erheben schon von sich aus das Wort gegen die AfD. Das hat #gEZnochkonkreter gezeigt, die Erstwählerveranstaltung der Eßlinger Zeitung im September 2018. Bei den AfD-Kandidaten aus den hiesigen Wahlkreisen standen die meisten Schüler. Sie hinterfragten kritisch, diskutierten kontrovers.

Dies könnte der positive Nebeneffekt der neuen Konstellation in Berlin sein. Denn nur mit einer guten Debattenkultur ist dem am Ende uns allen schadenden Populismus nachhaltig beizukommen.