Steinkohle lagert im Kohlehafen des Kohlekraftwerks Mehrum im Landkreis Peine. Im Kanzleramt läuft der nächste Kohlegipfel. Foto: Julian Stratenschulte/dpa Foto: DPA - Julian Stratenschulte/dpa

Die Regierung will den Kohleausstieg endlich auf die Schiene setzen. Ein Konzept gibt es längst, aber es fehlt etwas: Ein Fahrplan fürs Abschalten der Kraftwerke. Daran hängen satte Entschädigungen für Konzerne - und vor allem aus Sicht der Ost-Länder noch viel mehr.

Berlin (dpa) - Das Feilschen um den Kohleausstieg kommt voran. Bundesregierung und Braunkohle-Unternehmen sind sich über einen Plan fürs Abschalten der Kraftwerke weitgehend einig, wie die Deutsche Presse-Agentur am Mittwoch aus Verhandlungskreisen erfuhr.

Die vier betroffenen Länder Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen sollten im Kanzleramt an Bord geholt werden. Dort kamen sie am Mittwochabend mit der Bundesregierung zusammen. Vorab forderten insbesondere die Ost-Länder Sicherheit für ihre Regionen - und warnten vor einem «Ost-West-Konflikt» beim Kohleausstieg.

Spätestens 2038 soll für den Klimaschutz Schluss sein mit der Stromgewinnung aus Kohle in Deutschland. Dafür hat eine breit besetzte Kohlekommission schon vor rund einem Jahr ein Konzept vorgelegt. Die vier Kohleländer sollen insgesamt 40 Milliarden Euro Hilfen für den Umbau ihrer Wirtschaft und neue Jobs bekommen.

Für Steinkohle-Kraftwerke soll es zunächst Ausschreibungen geben, so dass Betreiber sich aufs Abschalten gegen Entschädigung bewerben können. Komplizierter ist die Braunkohle, wo es auch um Tagebaue geht. Seit Monaten verhandeln Bund und Betreiber über milliardenschwere Entschädigungen. Eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte, man habe sich «weiter aufeinander zubewegt».

Die Kohle-Länder forderten vor dem «Kohlegipfel» im Kanzleramt verbindliche Zusagen. «Unsicherheit ist das Schlimmste, was uns passieren kann», sagte Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD). Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) verlangte Klarheit über die Milliardenhilfen für den Strukturwandel und warb für ein Sondervermögen: «So dass das Geld bereit liegt, egal, was passiert», sagte er. Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) machte seine Zustimmung zum Kohleausstieg von der Einhaltung der Zusagen abhängig.

Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser appellierte an Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Geld für den Strukturwandel nicht zuzusagen, ohne auch den Kohleausstieg festzuzurren. «Knicken Sie heute Abend nicht vor dem Gebrüll der Ministerpräsidenten nach mehr Geld ohne Leistung ein!», schrieb er auf Twitter. BUND-Chef Olaf Bandt forderte, stetige Abschaltungen müssten per Gesetz festgelegt werden.

Bayern forderte die Kohleländer auf, den Blick für das «rechte Maß» zu behalten. «Mit den zugesicherten Finanzrahmen gehen wir bereits weit über das hinaus, was man gegenüber den Beschäftigten von anderen Branchen, die ebenfalls mit strukturellen Problemen zu kämpfen haben - zum Beispiel die Automobilindustrie - noch ernsthaft vertreten kann», sagte Staatskanzlei-Chef Florian Herrmann (CSU) der dpa.

Umstritten war auch, ob das neue Steinkohle-Kraftwerk Datteln 4 in NRW ans Netz darf. Betreiber Uniper hatte vorgeschlagen, dafür etwa das Braunkohle-Kraftwerk in Schkopau in Sachsen-Anhalt früher abzuschalten - zum Ärger des dortigen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU). «Jetzt haben wir einen echten Ost-West-Konflikt», sagte er im ZDF-«Morgenmagazin». Klimaziele müssten erreicht werden, aber fast die gesamte CO2-Ersparnis nach der Wiedervereinigung komme aus Ostdeutschland. Es könne nicht sein, dass man jetzt noch mal bluten» solle. Aus Verhandlungskreisen erfuhr die dpa, dass Schkopau auf keinen Fall wie befürchtet bereits 2026 vom Netz gehen soll.

«Der Kohleausstieg droht, Ost und West neu auseinander zu treiben», warnte Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Die Milliarden müssten für neue Jobs statt für Entschädigungen der Energiekonzerne ausgeben werden. «Beschäftigte dürfen nicht zu den Verlierern und Konzerne zu den Gewinnern gemacht werden», sagte er der dpa. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann, kritisierte, man habe beim Kohleausstieg den «teuersten möglichen Weg» gewählt. Für die Grünen sagte Fraktionschef Anton Hofreiter, es gehe nicht, dass der Bund «den Konzernen uralte, längst abgeschriebene Kraftwerke, die längst - auch per Gesetz - stillgelegt werden könnten, noch mal vergoldet.»

Für den Strukturwandel in den Kohleregionen wie der Lausitz und dem Mitteldeutschen Revier mit Tausenden Jobs hatte die Bundesregierung bereits Hilfen von insgesamt mehr als 40 Milliarden Euro zugesagt - etwa für den Bau neuer Straßen und Bahnstrecken oder die Förderung von Firmenansiedlungen. Das Gesetz dazu ist aber noch nicht beschlossen und ist zudem ans Kohleausstiegsgesetz gekoppelt - das wiederum an den Verhandlungen mit den Braunkohle-Betreibern hängt.

Bei den Gesprächen im Kanzleramt soll es auch um ein Anpassungsgeld für Kohle-Beschäftigte ab 58 Jahre gehen, die im Zuge des Kohleausstiegs die Zeit bis zum Renteneintritt überbrücken müssen. Die Industrie fordert außerdem Kompensationen für steigende Strompreise. Beides hatte die Kohlekommission empfohlen.

Abschlussbericht der Kohlekommission

Bundeswirtschaftsministerium zurm Strukturstärkungsgesetz

Deutschland könnte zusammen mit Polen einen Großteil der geplanten EU-Milliardenhilfen für die Klimawende in Kohleregionen bekommen. Von eingeplanten 7,5 Milliarden Euro könnte Polen allein zwei Milliarden einstreichen, bestätigte ein EU-Diplomat am Mittwoch. Deutschland läge mit 877 Millionen Euro auf Platz zwei. Profitieren könnten zum Beispiel Kohlereviere in der Lausitz oder im Rheinland. Das Geld soll Milliardeninvestitionen anstoßen.

Die EU-Kommission hatte am Dienstag einen Plan zur Unterstützung von Regionen vorgelegt, für die der klimafreundliche Umbau der Wirtschaft besonders hart wird. Dabei geht es vor allem um Regionen, die bisher mit Kohle, Torf oder Schieferöl ihren Wohlstand sichern und dies aufgeben sollen. Aus dem Grundstock von 7,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt sollen über Eigenbeiträge der begünstigen Staaten und mit Hilfen für Privatinvestoren 100 Milliarden Euro in den Jahren 2021 bis 2027 werden.