Was ist Ihr Lieblingstier? Foto: Kaier - Kaier

Von Greta Gramberg

Wandern im Wahlkampf: Das passt zu einem Grünen-Politiker. Für Matthias Gastel aus Filderstadt, Bundestagsmitglied seit 2013, gilt das doppelt. Steht die Kampagne des bahnpolitischen Sprechers der Bundespartei doch im Zeichen der Verkehrswende - die er selbst konsequent lebt, indem er öffentliche Verkehrsmittel und Muskelkraft nutzt, um von A nach B zu kommen. Kürzlich hat sich der 46-Jährige also wieder zu einer seiner Drei-Tages-Wanderungen in seinem Wahlkreis Nürtingen/Filder aufgemacht, diesmal von Kirchheim nach Bad Boll.

An diesem Morgen geht es um 9 Uhr zu den Teckwerken in Kirchheim, die erste der mehr als zehn Stationen auf der 40 Kilometer langen Tour. Gastel sucht sich für seine Wanderungen meist Stationen aus, die etwas mit Natur zu tun haben, wie er auf dem Weg zu dem Unternehmen erklärt. So stehen etwa noch direktvermarktende Bauern, eine Nudelmanufaktur und ein Mostbirnenlehrpfad auf dem Besuchsplan.

Die Teckwerke sind eine Bürgergenossenschaft und beziehen Öko-Strom unter anderem aus Solaranlagen auf Kirchheimer Schulgebäuden und anderen angemieteten Dächern sowie Windparks. Aber nicht alles läuft rund bei den erneuerbaren Energien, klagen die drei Vorstandsmitglieder der Teckwerke in ihren Büros in der Paradiesstraße. „Die Regulierung wird immer mehr“, sagt einer von ihnen, Felix Denzinger. Betreiber kleiner Anlagen müssten den gleichen Papierkrieg führen wie Energiekonzerne. Kritik auch an der EEG-Umlage auf Eigenstrombedarf: Das sei als ob man für die Tomaten aus dem eigenen Garten bezahle. Die Botschaft an den Bundestagsabgeordneten ist zusammengefasst: Da muss sich etwas ändern, wenn die Energiewende funktionieren soll.

Kein Sprung ins kalte Wasser

Gastel hört mit ernster Miene zu, die eigenen Ansichten stehen bei seinen Wanderungen nicht im Vordergrund. Doch die ein oder andere Nachfrage lässt durchblicken, dass die Materie nicht ganz neu ist für ihn: Er selbst hat eine Solaranlage und im Windpark Lauterstein, von dem die Teckwerke Strom beziehen, war er bereits. Vorbereitet - der Begriff beschreibt ganz gut, welchen Eindruck der Politiker hinterlässt: Er informiert sich, will Bescheid wissen, bevor er Aussagen trifft. „Ich springe ungern ins kalte Wasser“, gibt er zu. Sein Fachthema, für das er von den bundesweiten Medien gerne als Experte herangezogen wird, ist klar der Schienenverkehr, den Gastel in- und auswendig kennt: In seinem Online-Bahn-Tagebuch schreibt er ganz nüchtern, wenn der Zug Verspätung hat, das Wlan nicht funktioniert - oder alles glatt läuft. „Ich glaube, am ehesten kann man dann etwas bewegen, wenn man selbst nah an den Themen dran ist.“

Dazu gehört für den Parlamentarier auch zu wissen, was bei seinen Wählern los ist. 60 Prozent seiner Zeit ist er nach eigenen Aussagen im Kreis oder im Land unterwegs. Neben einigen Drei-Tages-Wanderungen stehen zahlreiche selbstverordnete Thementage in der Bilanz der letzten vier Jahre. „Ich bin umtriebig, ich packe viel gleichzeitig an“, charakterisiert er sich selbst. Bei seinem nächsten Halt auf dem Kirchheimer Wochenmarkt fragt er die Beschicker nach der Geschäftslage. Während ein Blumenhändler ihn dafür lobt, sich an der Basis zu zeigen gibt es Kontra von einem Gemüsebauern aus Unterensingen. Es geht um die geplante Kerosin-Pipeline zum Flughafen. „Warum kann die nicht im Niemandsland liegen?“, fragt der Mann, der höflich, aber sichtlich erregt ist. Ruhig verteidigt Gastel, der bereits vor Ort war, den avisierten Kompromiss zwischen möglichst großer Entfernung zu Wohnhäusern und der Schonung eines Naturschutzgebietes.

Die drei Ziele, mit denen Gastel bei den Wählern punkten will, liegen aber im Verkehrsbereich: Deutlich höhere Bundesmittel für den Ausbau des Schienennetzes - wovon der S-Bahn-Ringschluss von den Fildern ins Neckartal profitieren könne. Der Ausbau der Radinfrastruktur durch bessere Bundesförderung etwa für Radschnellwege. Und als drittes fordert Gastel einen festen Zeitpunkt, ab dem neu zugelassene Autos emissionsfrei sein müssen. Der Bundestagsabgeordnete bekennt sich zum Wahlprogramm der Grünen, das als Deadline 2030 vorschlägt- als Reaktion auf die Frage, ob er die Haltung von Winfried Kretschmann dazu teile. Der Ministerpräsident hatte beim Grünen-Parteitag gegenüber Gastel vehement Kritik geübt, die durch ein umstrittenes Video öffentlich wurde. Der Abgeordnete äußert sich zurückhaltend dazu: „Winfried Kretschmann und ich hatten ein persönliches Gespräch geführt, das nicht für die Öffentlichkeit gedacht war beziehungsweise ist.“

Ein erstes Mal

2013 ist Gastel als letzter auf der Landesliste in den Bundestag eingezogen. Dieses Jahr steht er wieder auf Rang zehn - und ist zuversichtlich, dass es für ihn reicht. Inwieweit er sich persönlich durch das Amt verändert habe? Die Gedanken kreisten noch häufiger um die Dinge, die politisch anstehen, sagt der frühere Gemeinderat. „Und für private Dinge müssen rechtzeitig feste Zeitfenster frei gehalten werden.“ Der Grünen-Politiker musste außerdem für sein Amt mit einem Prinzip brechen: Seine Flugbilanz hat sich seit 2013 von null auf vier erhöht. Wie er es empfunden habe, zum ersten Mal durch die Luft zu reisen? Der Flug an sich sei unspektakulär gewesen, sagt der 46-Jährige. Es habe ihn nur geärgert, wie viel Zeit etwa beim Einchecken verloren gehe. „Deswegen reise ich viel lieber mit der Bahn, weil ich die Zeit vom Ein- zum Aussteigen nutzen kann.“

Viele Stationen mit Blick auf die Menschen

Biografie: Matthias Gastel ist 1970 in Stuttgart geboren, ledig und wohnt in Filderstadt. Auf eine Lehre zum Groß- und Einzelhandelskaufmann und den Zivildienst in einem Kinderheim folgten weitere Abschlüsse im sozialen und wirtschaftlichen Bereich. So kann sich der 46-Jährige Altenpflegehelfer, Diplom-Kaufmann, Diplom-Sozialpädagoge und zertifizierter Wirtschaftsmediator nennen. Ähnlich bunt ist seine Berufserfahrung: Nach ersten Schritten im Groß- und Außenhandel war Gastel in der Jugendhilfe tätig. Ab 2006 baute er eine eigene Zeitarbeits- und Personalvermittlungsfirma für Fachkräfte im sozialen Bereich mit mehr als 400 Beschäftigten auf. 2012 übergab er die Firma und arbeitete als Wirtschaftsmediator und Praxislehrer für angehende Erzieher.

Politischer Werdegang: Seit 1989 ist Gastel Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. Er war Teil des Landesvorstands der Grünen Jugend (1990 - 1993), im Orts- und Kreisvorstand der Grünen (1990 - 1994), 20 Jahre lang Stadtrat in Filderstadt und ab 1999 Kreisrat (bis 2014). Von 1996 bis 1998 war Gastel persönlicher Mitarbeiter zweier Landtagsabgeordneter. Erstmals für den Bundestag kandidierte er 1994 in Esslingen, kam aber nicht zum Zug. 2013 bekam er als drittstärkster Kandidat 9,9 Prozent der Erststimmen in seinem Wahlkreis und zog über die Landesliste seiner Partei ins Parlament ein. Hier ist er Mitglied im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur und Stellvertreter im Ausschuss für Arbeit und Soziales.

Hobbys: Sport (Laufen, Radfahren, Gymnastik), Lesen, Vorlesen, in der Natur unterwegs sein.

Serie: Im Rahmen der Serie „Stippvisite“ begleitet die Redaktion die Kandidatinnen und Kandidaten von CDU, SPD, Grünen, FDP, Linke und AfD während ihres Wahlkampfes und stellt die Bewerber für die Bundestagswahl am 24. September vor.