Frank Brettschneider ist Politikexperte an der Uni Hohenheim.Foto: dpa Foto: EZ

Am Sonntag wird gewählt. Frank ­Brettschneider, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim, zieht im Interview eine Bilanz des Wahlkampfs.

Angela Merkel wurde in den vergangenen Wochen häufig vorgeworfen, sie würde einen Schlafwagen-Wahlkampf betreiben? Stimmt das?

Brettschneider: Nein, das stimmt nicht. Es ist immer die Frage, was man von einem Wahlkampf erwartet. Dass er nicht so polarisiert ist, wie in den USA oder in Frankreich, ist keineswegs negativ. Es ist gut, dass wir bei uns zwischen den großen Parteien eine relativ große Übereinstimmung in Grundsatzfragen haben. Es stimmt, dass die großen Aufregerthemen in diesem Wahlkampf fehlen. Das ist aber nach vier Jahren Großer Koalition nicht überraschend. Die großen Streitthemen sind weg. Die einzige Ausnahme ist das Thema Zuwanderung. Aber auch da unterscheiden sich CDU und SPD nicht grundsätzlich voneinander, sondern eher alle Parteien von der AfD. Was zutrifft, ist: Angela Merkel setzt nicht so sehr auf einzelne Themen, sondern auf ein grundsätzliches Gefühl und einen bestimmten Regierungsstil. Das hat sie vor vier Jahren auch so gemacht. Damals mündete das im TV-Duell in die Schlussaussage: „Sie kennen mich.“ Diesmal ist es wieder so. Es ist ein Wohlfühl-Wahlkampf und ein Leistungsbilanz-Wahlkampf. Das heißt: Uns in Deutschland geht es im Vergleich zu anderen Ländern sehr gut – warum sollte man daran etwas ändern? Das zeigen auch die Umfragen: Die Wechselstimmung ist nicht sehr ausgeprägt. In international schwierigen Zeiten – Stichwort Erdogan, Trump, Syrien, Polen, Ungarn, Brexit – geht es um Verlässlichkeit, um Berechenbarkeit, um Vertrautes und um Sicherheit – all das repräsentiert Merkel.

Sie sprechen von Wohlfühl-Wahlkampf. Daran hat auch der SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz seinen Anteil. Ist er seiner Rolle als Herausforderer Merkels gerecht geworden?

Brettschneider: Nein, ist er nicht. Das liegt aber zunächst an einem grundsätzlichen Problem der SPD und weniger an Martin Schulz. Die SPD weiß nicht so recht, will sie Regierungspartei sein oder Oppositionspartei. Das wusste sie auch schon in den vergangenen vier Jahren nicht. Einerseits hat die Partei in der Regierung viele Erfolge gefeiert, gerade im Sozialbereich. Nun könnte man davon ausgehen, dass die SPD vor diesem Hintergrund einen selbstbewussten Leistungsbilanz-Wahlkampf führt. Stattdessen ist sie im Oppositionsmodus. Das sieht man auch in ihrem Wahlprogramm. Wir untersuchen die Programme auf sprachliche Muster. In einem Muster gibt es die Begriffe „mehr“, „müssen“, „sollen“, also Forderungen. Genau diese Begriffe findet man in den Wahlprogrammen aller Oppositionsparteien – und in dem der SPD. Zudem haben Martin Schulz und sein Team grandiose weitere Fehler begangen. Nach dem Hype am Anfang, als die SPD offenbar sehr erleichtert war, dass Sigmar Gabriel sie nicht in den Wahlkampf führt, hat Schulz es versäumt, selbst Themen in den Mittelpunkt zu rücken und inhaltlich konkret zu werden. Es ist zu sehr im Vagen geblieben. Nach den drei verlorenen Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen ist er zusammengefallen wie ein Soufflé, in das man hineinpikst. Dann wurde er hektisch und hat einen Schulz-Plan nach dem anderen vorgestellt, statt konkrete, knappe Thesen zu zentralen Themen zu präsentieren. Außerdem hat er einen riesigen strategischen Fehler gemacht. Martin Schulz ist ein bekannter EU-Politiker, er war Präsident des Europäischen Parlaments. Offenbar hatte er aber Angst, dass man mit Europa keine Bundestagswahl gewinnen kann und hat diese europäische Herkunft im Wahlkampf fast versteckt. Stattdessen hat er sich umdefiniert zum ehemaligen Bürgermeister aus Würselen. Er war sicher ein guter Bürgermeister, aber das ist gute Kreisklasse und auf der anderen Seite ist die Champions League mit Angela Merkel, die regelmäßig Staatsmänner trifft und in einer ganz anderen Liga spielt.

Kommen wir zur AfD. Zuletzt sorgte die Partei für Aufsehen, als ihre Spitzenkandidatin Alice Weidel – wohl geplant – vorzeitig eine ZDF-Wahlsendung verließ. Tut das dem Image und der Glaubwürdigkeit einer Partei gut?

Brettschneider: Es tut der Glaubwürdigkeit der AfD unter ihren eigenen Anhängern gut. Nicht unter allen anderen, aber darum geht es der Partei auch nicht. Sie bedient genau das gleiche Muster wie alle anderen rechtspopulistischen Parteien auf der Welt. Sie setzen Aufregerthemen, über die zumindest unter den eigenen Anhängern diskutiert wird. Sie dienen dazu, das gleiche Gefühl zu befeuern: Wir sind die Benachteiligten, wir sind das Opfer des Establishments. Wir gegen die. Intern ist das das sogenannte Establishment, extern ist es der Islam. Die AfD geriert sich als Wahrerin der Interessen des deutschen Volkes – als ob das Volk einheitlich wäre. Sie schöpft zudem ein gewisses Wutpotenzial bei den Bürgern ab. Und so wie es aussieht, wird sie damit bei der Wahl Erfolg haben und sicher in den Bundestag einziehen.

Als drittstärkste Kraft?

Brettschneider: Das hängt auch von der Wahlbeteiligung ab, ist aber durchaus wahrscheinlich.

Ein Thema, dem man sich beim Gang durch die Straßen derzeit nicht entziehen kann, sind Wahlplakate. Die Frage ist: Bringen sie etwas?

Brettschneider: Das kommt darauf an, wie gut die Plakate sind. Man muss das differenziert sehen. Einerseits gibt es die Kopfplakate der Wahlkreiskandidaten. Die sind komplett herausgeschmissenes Geld. Sie vermitteln keine Botschaft und dienen nur dazu, die Person bekannt zu machen. Am Wahltag spielt das aber eine sehr geringe Rolle. Wirkungsvoller sind die Themenplakate. Durch sie werden kurze, zentrale Botschaften vermittelt. Bei den Grünen etwa zum Thema Umwelt, bei der Linken und der SPD zur sozialen Gerechtigkeit, bei der Union zur inneren Sicherheit.

Welche Partei hat diesmal die besten Wahlplakate?

Brettschneider: Das haben zwei Parteien besonders gut gemacht. Das ist einerseits die CDU, die durchgängig ein klares Konzept mit guten Bildern und klaren Botschaften hat. Die zweite Partei ist die FDP. Sie hat mit den Schwarzweiß-Bildern und Anleihen aus der Produktwerbung eine neue Ästhetik in die Wahlplakate gebracht. Die FDP verwendet auf ihren Plakaten sehr viel Text. Das ist ungewöhnlich und eigentlich ein Verstoß gegen Plakatregeln. Aber sie will damit signalisieren: Wir haben viel zu sagen. Das braucht sie als Kontrapunkt zu dem Vorwurf, eine reine Personen-Partei, eine Lindner-Partei zu sein.

Weg von der Straße, rein ins Netz: Wie wichtig sind die sozialen Netzwerke im Wahlkampf?

Brettschneider: Sie sind wichtig, aber nicht so wichtig, wie oft gedacht wird. Beim Wahlkampf in sozialen Netzwerken geht es nicht um Reichweite, sondern in erster Linie um die Mobilisierung der eigenen Wähler. Drei Parteien machen das sehr intensiv: die FDP, die Grünen und die AfD. Letztere setzt von allen am stärksten auf soziale Medien und schafft sich ihre eigene Wirklichkeit. Dabei entsteht eine Filterblase, in der Nachrichten verbreitet werden, die keinerlei redaktioneller Kontrolle unterliegen und mit deren Hilfe Ressentiments geschürt und die eigenen Anhänger bedient werden.

Die Kandidaten werden von Prominenten unterstützt. Bei Angela Merkel sind es zum Beispiel Schauspielerin Sophia Thomalla und Turn-Olympiasieger Fabian Hambüchen, bei Martin Schulz unter anderem die Schauspielerinnen Iris Berben und Hannelore Elsner. Hat eine solche Unterstützerkampagne überhaupt einen Effekt?

Brettschneider: Das ist schwer einzuschätzen, weil es dazu keine empirischen Studien gibt. Ich würde aber sagen, es kann durchaus eine Rolle spielen. Vor allem bei denjenigen Wählern, die sich sonst nicht so sehr mit Politik beschäftigen. Es ist zwar nahezu auszuschließen, dass jemand einen Kandidaten nur deshalb wählt, weil ein Prominenter ihn unterstützt. Ich glaube aber, dass die Meinung eines Prominenten durchaus ein Anreiz sein kann, sich zumindest etwas intensiver mit einer Partei auseinanderzusetzen.

Wer ist für Sie der Gewinner des Wahlkampfs?

Brettschneider: Das sind sogar drei. Angela Merkel, die auf ihre Art und Weise für eine breite Wählerschaft genau das ausstrahlt, was sie ausstrahlen muss – eine gewisse Gelassenheit, Pragmatismus, sie ist ein Ruhepol. Der zweite ist Cem Özdemir. Er ist mit Abstand der überzeugendste Kandidat der Grünen. Dann ist da noch Christian Lindner. Ihm ist es gelungen, aus einer FDP, die kaum noch existent war, eine Partei zu machen, bei der es unumstritten ist, dass sie in den Bundestag einziehen wird. Er hat einen Neustart geschafft.

Das Interview führte Patrick Kuolt.