Die parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit im Gespräch mit Chefredakteur Gerd Schneider. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Esslingen - Annette Widmann -Mauz ist ein „alter Hase“ im Politikbetrieb. Seit fast 20 Jahren ist sie Mitglied des Deutschen Bundestags, seit 2002 als direkt gewählte Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Tübingen-Hechingen. Die Steckenpferde der 51-Jährigen sind die Gesundheits- und Frauenpolitik. Seit 2015 steht sie an der Spitze der Frauen-Union. Als weibliche CDU-Direktkandidatin ist sie im Südwesten allerdings eine Rarität.

Es gibt in Baden-Württemberg 38 Bundestagswahlkreise, die CDU schickt - inklusive Ihnen - drei Frauen als Direktkandidatinnen ins Rennen. Kommen einem als Vorsitzende der Frauen-Union da nicht die Tränen?

Widmann-Mauz: Ich bin mit diesem Ergebnis - trotz 55 Prozent Frauenanteil auf unserer Landesliste - natürlich nicht zufrieden, wir müssen vor allem in den Wahlkreisen mehr tun und an diesem Thema dranbleiben. Wir haben festgestellt, dass Instrumente wie Quoten und Quoren für Landeslisten allein noch nicht die Anzahl an Frauen in die Parlamente bringen, die notwendig wären. Ziel muss eine angemessene Vertretung von Frauen und Männern im Parlament sein.

Wie durchbricht man diese verkrusteten Strukturen?

Widmann-Mauz: Ganz wichtig ist, dass Frauen aktiv mit den anderen Mitgliedern in der Partei zusammenarbeiten und sie von ihren Ideen überzeugen. Parteialltag darf sich auch nicht nur in den klassischen männlichen Strukturen abspielen. Parteiarbeit muss auch mit Familie und Beruf besser vereinbar sein. Auch digitale Formen der Zusammenarbeit sollte man stärker nutzen. Aber am Ende entscheiden die Mitglieder in der CDU Baden-Württemberg über die Aufstellung der Kandidaten in den Wahlkreisen. Rein männliche Seilschaften müssen dabei durchbrochen und Netzwerke mit Frauen geknüpft werden.

Bei welcher Quote wären Sie zufrieden?

Widmann-Mauz: Ich bin über jede Frau mehr dankbar. Die Forschung zeigt, dass ab einem Drittel Frauen sich Tagesordnungen verändern und so die Anliegen und Sichtweisen von Frauen mehr zum Tragen kommen. Aber am Ende besteht die Gesellschaft zur Hälfte aus Frauen und Männern. Das bleibt das Ziel.

Wie haben Sie es geschafft?

Widmann-Mauz: Ich habe mich früh sehr stark engagiert, in Themen hineingekniet und in der Gesundheits-, Frauen- und Familienpolitik ein starkes fachliches Standbein entwickelt. Das kann ich nur empfehlen. Mit Fleiß und Kompetenz in der Sache habe ich mir Anerkennung, Respekt und Vertrauen erarbeitet.

Sie haben studiert, Ihr Studium aber nicht abgeschlossen. Ein abgebrochenes Studium wird in der Politik oft als Makel angesehen. Hatten Sie deshalb je Probleme?

Widmann-Mauz: Nein.

Sie haben dieses Jahr die Schirmherrschaft eines Homöopathie-Ärztekongresses übernommen. Globuli und Co. sind in der Wissenschaft stark umstritten, von Quacksalbern und Scharlatanen ist die Rede - warum haben Sie sich für dieses Amt entschieden?

Widmann-Mauz: Es handelte sich dabei um die Schirmherrschaft für einen internationalen Kongress von Fachärztinnen und -ärzten. Die Tatsache, dass es auch in Deutschland Patienten gibt, die auf komplementärmedizinische Methoden zurückgreifen, zeigt, dass ein Diskurs über den Forschungsstand, die aktuelle Versorgungssituation, die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen dieses Fachgebiets notwendig ist. Für mich ist klar, dass Patientenwohl und Patientensicherheit oberstes Richtmaß aller Behandlungsmethoden sind.

Viele Patienten vertrauen auf die Homöopathie. Was ist das Ziel Ihres Engagements?

Widmann-Mauz: Wir brauchen vor allem wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse im Hinblick auf die Evidenzbasierung und Qualitätssicherung bei der ergänzenden Anwendung von alternativen Heilmethoden. Und notwendig ist auch eine angemessene Patienteninformation.

Viele Krankenhäuser sind seit Jahren chronisch unterfinanziert. Von Pflegern, die keine Zeit haben, sich die Hände zu desinfizieren ist die Rede. Wo führt das noch hin?

Widmann-Mauz: Die Finanzierung der Krankenhausversorgung ist eine sehr komplexe Materie, sie steht auf zwei Säulen. Die Behandlungskosten über die gesetzlichen Krankenkassen und die Finanzierung der Investitionskosten durch die Länder. Wenn eine der beiden Säulen bröckelt, geht es immer zu Lasten der Versorgung der Patienten und der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Deshalb hat der Bund über die gesetzliche Krankenversicherung die Finanzierung deutlich gestärkt, durch Verbesserungen im Fallpauschalensystem und Versorgungszuschläge, die dann in Pflegezuschläge umgewandelt wurden. Wir haben jetzt Krankenkassen und Krankenhäuser gesetzlich beauftragt, Personalmindestbesetzungszahlen festzulegen, das ist vor allem in den pflegeintensiven Bereichen wie in den Nachtschichten und auf Intensivstationen wichtig.

Und das verbessert die Situation?

Widmann-Mauz: Das wird nur gelingen, wenn auch die Länder ihrer Verpflichtung nachkommen. Wir haben sie mit einem Krankenhausstrukturfonds motiviert, eine Milliarde Euro ist dafür zur Verfügung gestellt worden. Nun darf es dort keine Kürzungen geben, sonst landen die Betriebsmittel wieder in Gebäuden und nicht bei den Beschäftigten. Den größten Nachholbedarf hat sicher die Pflege.

Die Attraktivität des Pflegeberufes hält sich in Grenzen. Der Bedarf ist aber jetzt schon groß und wird weiter ansteigen. Was tun?

Widmann-Mauz: Die Attraktivität von Pflegeberufen hängt von verschiedenen Faktoren ab. In Vertragsverhandlungen in der ambulanten Pflege und der stationären Altenpflege müssen jetzt Tariflöhne berücksichtigt werden. Im Krankenhaus wollen wir das über einen vollständigen Tarifkostenausgleich auch durchsetzen. Aber zur Attraktivität gehört nicht nur das Gehalt, sondern auch ein modernes Berufsbild, wie wir es mit der neuen Pflegeausbildung schaffen, und attraktive Arbeitsbedingungen. Da kann man noch viel leisten, beispielsweise mit einer besseren Zusammenarbeit mit Ärzten. Und auch eine andere Arbeitsorganisation erleichtert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und kann dazu beitragen, dass mehr in den Beruf wechseln und dort auch bleiben.

Im Bundestagswahlkampf wird vor allem über Themen wie die Flüchtlingsproblematik oder die Innere Sicherheit geredet. Gibt es Themen, die Sie vermissen?

Widmann-Mauz: Ich finde es wichtig, dass wir auch über die Herausforderung der Zukunft in unserem Land sprechen - die Digitalisierung. Dazu gehören eine leistungsstarke Infrastruktur, Breitbandversorgung und ein funktionierendes Mobilnetz. Am Ende geht es um die Arbeitsplätze der Zukunft: Womit wollen wir in Baden-Württemberg in den nächsten zehn, zwanzig Jahren unser Geld verdienen und wie den Wohlstand, den wir gewohnt sind, sichern?

Im Duell zwischen Merkel und Schulz war auch die Rente mit 70 ein Thema. Ist das ein Weg zur Wohlstandssicherung?

Widmann-Mauz: Die Rente mit 70 ist für uns kein Thema, das hat die Kanzlerin im Duell auch klar gesagt. Die Flexi-Rente ermöglicht es Menschen, länger zu arbeiten - wenn sie das wollen. Es kann aber kein Modell für alle sein. Dank der guten Konjunktur steht die Rentenversicherung heute besser da, als man vor zehn Jahren gedacht hätte. Wichtiger ist mir: Wir brauchen gezielte Maßnahmen gegen Langzeitarbeitslosigkeit und eine stärkere betriebliche Gesundheitsförderung, vor allem bei kleineren und mittleren Firmen haben wir noch enormes Potenzial.

Das Thema Umweltschutz hat im TV-Duell gefehlt und scheint auch sonst kein großes Wahlkampfthema zu sein. Gleichzeitig hatten wir dieses Jahr schwere Überschwemmungen in Texas oder Indien. Wie passt das denn zusammen?

Widmann-Mauz: Wir haben in den vergangenen Jahren intensive Diskussionen über den Klimaschutz und unsere Energieversorgung geführt, das Thema ist auch nicht von der Tagesordnung verschwunden. Es gibt immer zwei Seiten einer Medaille, die es zu berücksichtigen gilt. Wir haben aber noch nicht alle Probleme gelöst, beispielsweise die Endlagerfrage des Atommülls. Umweltschutz spielt auch bei der Mobilität eine große Rolle. Die Umweltpolitik ist in der politischen Normalität angekommen, sie wird immer selbstverständlich mitdiskutiert.

Das Interview führte Sabrina Erben.

Zur Person

Annette Widmann-Mauz (Jahrgang 1966) ist seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie studierte Politik- und Rechtswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.

Seit 2002 ist sie stets als direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises Tübingen in den Bundestag eingezogen. Im Jahr 2009 wurde Widmann-Mauz zur Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit ernannt. Zur Bundestagswahl am 24. September startet sie von Platz 2 der CDU-Landesliste aus. Auf dem Bundesparteitag der CDU im Dezember 2012 wurde sie zum Mitglied des CDU-Bundesvorstandes gewählt. 2015 wurde sie Vorsitzenden der Frauen-Union, im August 2017 folgte die Wiederwahl. Widmann-Mauz ist verheiratet und lebt in Balingen.