Dagmar Weinberg. Foto: Bulgrin - Bulgrin

In Amsterdam ist längst Wirklichkeit, wovon man im Neckartal noch träumt. Fast die ganze Stadt ist ein Radschnellweg. Auf dem gelten allerdings ganz eigene Regeln.

Esslingen/AmsterdamIn Amsterdam leben zwar fast zehn Mal mehr Menschen als in Esslingen. Während in der Baustellen geplagten Neckarstadt zur Hauptverkehrszeit aber regelmäßig der Adrenalinspiegel der Autofahrer steigt, bleiben die Bewohner der niederländischen Hauptstadt selbst zur Rushhour ganz gelassen. Und das nicht etwa, weil sie sich ständig in irgendwelchen Coffeeshops mit bewusstseinserweiternden Kräutern zudröhnen. Statt sich in Blechkisten zu zwängen, genießen unsere Nachbarn lieber die frische Luft und bewegen sich auf zwei Rädern durchs Leben – was in einem Land, dessen höchste Erhebung gerade mal 322,7 Meter misst, natürlich deutlich leichter fällt als im hügeligen Schwabenland.

So ist in der Grachtenstadt längst Wirklichkeit geworden, wovon man zwischen Stuttgart und Reichenbach noch träumt. Fast ganz Amsterdam ist ein Radschnellweg. Auf dem gelten allerdings ganz eigene Regeln: Helme sind völlig uncool, der Liebsten, während man in die Pedale tritt, mal eben eine Whatsapp zu schreiben, hingegen ziemlich cool. Gebremst wird nicht – zumindest nicht für Fußgänger. Wie diese lästigen Zeitgenossen über die Straße kommen, ist ihr Problem. Denn wer als Radler was auf sich hält, bremst ausschließlich für ernstzunehmende Gegner – also für Straßenbahnen und Laster – oder, wenn es sich partout nicht vermeiden lässt, auch mal an einer roten Ampel.

„Nur nicht zaudern oder auf der Radler-Autobahn stehen bleiben“, heißt die Devise. Wer sein Tempo verlangsamt, wird mit hektischen Klingelsalven traktiert oder sogar verbal zur Ordnung gerufen. Denn ob auf vier oder zwei Rädern: Sobald die Menschheit mal so richtig in Fahrt ist, ist es mit der Gelassenheit schnell vorbei.