Nicole Spiegelburg. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Schreibtische verraten so manches über den, daran sitzt. Doch das heißt nicht, dass sie absolut aufgeräumt sein müssen.

red Der moderne Mensch verbringt viel Zeit im Sitzen, meistens auf dem Bürostuhl am Schreibtisch. Und wie der aussieht, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Für Psychologen und Philosophen bietet er genügend Stoff, um anhand seiner Ordnung oder Unordnung verschiedene Schreibtischtypen zu kreieren. Da gibt es zum Beispiel den designverliebten Leiter, meistens in führender Position, der sein Leben und seinen Schreibtisch voll im Griff hat und dies mit eleganten und edlen Accessoires zum Ausdruck bringt. In dem handgefertigten Stifteköcher aus Rindsleder steckt ein echter Montblanc-Kugelschreiber mit individueller Gravur; beides dazu verdammt, Souveränität und Stil auszustrahlen. Ähnlich aufgeräumt, doch mit weniger Understatement, präsentiert sich der Schreibtisch des Ordnungsfanatikers: Alles hat seinen Platz und seine Funktion, nichts ist dem Zufall überlassen. Tacker, Tesafilm und Trennstreifen reihen sich Kante an Kante und sind sich ihrer Bestimmung gänzlich bewusst: schön sind sie nicht, aber praktisch. Ganz anders geht es auf dem Schreibtisch des chaotischen Genies zu: Da türmen sich unzählige Briefe, Dokumente und Ausdrucke zu unterschiedlich hohen Stapeln. Jeder davon steht für ein anderes Projekt.

„Klarer Fall!“, mag jetzt manch einer denken, „Aufgeräumter Schreibtisch bedeutet: alles im Griff“. Doch das Gegenteil ist der Fall, meint der Philosoph John Perry. Denn die Hochstapler, die Perry vertikal organisiert nennt, haben die akuten Projekte buchstäblich immer vor Augen: „Du musst mich noch bearbeiten!“, mahnen sie unablässig. Die Strategie der horizontal Organisierten sei dagegen: alles in realen und virtuellen Ordnern verschwinden zu lassen – fein säuberlich angelegt zwar, doch in vielen Fällen eben auf Nimmerwiedersehen. Perry hat übrigens ein Buch geschrieben, es heißt: „Einfach liegen lassen.“