Katja Köhler. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Das geplante Aus für die Zeitumstellung im Frühjahr und im Herbst bringt ganz neue Schwierigkeiten mit sich, befürchtet Katja Köhler.

EsslingenEs gibt Tage im Jahr, die haben ihre ganz eigenen Rituale. Ostern, Weihnachten, Silvester oder Muttertage zum Beispiel. Die Termine der Zeitumstellung zählen auch zu dieser Kategorie. Deren Rituale sehen vor, dass wenigstens einmal die Frage geklärt wird, wie herum der Zeiger denn nun eigentlich gestellt werden muss, wer welche Uhr umstellt, wer dafür verantwortlich ist, wenn eine vergessen wird – und wer, wenn die Familie die Umstellung gleich ganz verschläft. Ebenso fester Bestandteil ist das Stöhnen über die gestohlene Stunde Schlaf, die den Rhythmus durcheinanderbringt. Eine liebgewonnene Gewohnheit dagegen sind die Anekdoten, die aus der Umstellerei erwachsen – jedenfalls, wenn man nicht selbst betroffen ist. Wie etwa die von Horst Seehofer, der, damals noch CSU-Chef, anno 2014 vergessen hatte, seinen Wecker umzustellen und deswegen am Montag darauf die Telefonschalte mit Kanzlerin Angela Merkel glatt verpennte.

Aber mit solchem Kokolores soll es ja nun bald ein Ende haben. Weil zahlreiche Menschen in Europa ihren Lebensrhythmus nicht länger dem Diktat des zu verrückenden Stundenzeigers beugen wollen, haben sich stattdessen die EU-Institutionen gebeugt, und zwar dem mehrheitlichen Wunsch nach dem Ende der Umstellerei. Bis 2021 kann nun jeder EU-Staat entscheiden, ob er künftig ganzjährig der Sommer- oder der Winterzeit folgt.

Hurra! Nun wird alles viel einfacher! Denn sollten sich etwa die Deutschen für die durchgehende Winterzeit entscheiden, können sie sich im Sommer endlich auf eine frühere Dämmerung einstellen. Grillen gegen 21 Uhr im Dunkeln: großer Spaß. Bleibt es hingegen das ganze Jahr über bei der Sommerzeit, werden Schüler und Schülerinnen und alle anderen Frühaufsteher den überlangen dunklen Morgen im Winter bestimmt sehr bejubeln. Und wer etwa von Litauen nach Portugal reisen will, kann die Grenzen seiner Flexibilität erst einmal so richtig ausloten, wenn er dann nicht mehr nur drei, sondern sieben national unterschiedliche Zeitzonen zu beachten hat. Jetzt mal ehrlich: Diesem Modell mangelt es schon an Potenzial für echte Rituale.

Die Kanzlerin soll Seehofer sein Missgeschick damals übrigens verziehen haben. Ob sich die Sommerzeit- mit den Winterzeitbefürwortern auch so rasch einigen können? Ach du liebe Zeit: wohl eher nicht.