Quelle: Unbekannt

Von Hermann Dorn

Wer heute als Radfahrer in Städten wie Esslingen unterwegs ist, hat an den zahlreichen Ampeln ausreichend Gelegenheit, sich an Gustav Mahler zu erinnern. Während sich die Warterei in die Länge zieht, erscheint der Komponist und Dirigent wie ein früher Leidensgenosse. Zugegeben - als Mahler im ausgehenden 19. Jahrhundert rasend durch Hamburg geradelt ist, war von Autos noch wenig zu sehen. Und Ampeln waren noch völlig unbekannt. An Hindernissen hat es aber schon damals nicht gefehlt. Besessen von dem Gedanken, nur ja keine Zeit zu verlieren, empfand der Musiker die Begegnung mit Pferdedroschken als Zumutung. Am liebsten würde er sie über den Haufen fahren, schrieb er einem Freund und schilderte seinen Ärger, wenn er das Tempo drosseln oder sogar absteigen musste.

Was Mahler die Pferdedroschken waren, sind dem Radfahrer von heute die Ampeln. Alles Zeitfresser. Wenn außer einer roten Ampel weit und breit kein Grund zu erkennen ist, die Grünphase abzuwarten, sinkt der Respekt vor der Straßenverkehrsordnung beträchtlich. Die vorsorgliche Nachfrage im Ordnungsamt, ob das Signal auf dem Gehweg umfahren werden darf, lässt den Radfahrer allerdings vorsichtig werden. Wer erwischt wird, muss ein Bußgeld von 100 Euro befürchten. Plus einen Punkt in Flensburg. Noch abschreckender wirkt die Aussicht, von Eltern als schlechtes Vorbild für ihre Kinder beschimpft zu werden.

Auf Dauer wollen wir uns trotzdem nicht mit den Zeitdieben abfinden. Darin bestärkt uns der Blick nach Frankreich. In Nantes, Bordeaux, Straßburg, ja sogar in Paris dürfen Radfahrer an roten Ampeln rechts abbiegen. Teilweise ist es sogar erlaubt, geradeaus zu fahren. Wer jetzt glaubt, im Nachbarland sei die Verkehrsordnung in Gefahr, irrt. Ausnahmen für Radfahrer sollen - so heißt es - in mehreren Jahren keinerlei Unfälle nach sich gezogen haben.

Zu den wenigen Erbschaften der DDR, die als Gewinn betrachtet werden dürfen, gehören Grünpfeile für Rechtsabbieger. Wer kurz anhält, um Fußgänger und Radfahrer zu beachten, darf in diesen Fällen die rote Ampel ignorieren. Höchste Zeit, dass diese bewährte Regelung für Radfahrer erweitert wird.

Unnötige Wartezeiten an den Ampeln müssen nicht sein. Man sollte es mit der Optimierung allerdings nicht übertreiben. Mahler kann in diesem Punkt auch als abschreckendes Beispiel dienen. Wenn er später in Wien mit dem Fahrrad nach Hause kam, hatte die Suppe schon auf dem Tisch zu stehen. Seine Hektik nahm ein frühes Ende. Mahler starb 1911 mit gerade 51 Jahren. Es war das Herz.