Quelle: Unbekannt

Von Thomas Krazeisen

Nach der Party ist vor der Party. Frei nach einer alten Fußballer-Weisheit gilt das mittlerweile auch im Land der Schwaben, denen noch immer der unzerstörbare Ruf pietistischer Freudlosigkeit anhängt. Saure Wochen, frohe Feste - letztere aber bitte äußerst zurückhaltend dosiert: Das gilt als schwäbische Lebensdevise - und war es vielleicht tatsächlich einmal. Die heutige Realität sieht freilich ganz anders aus, auch wenn sich das im außerschwäbischen Rest der Welt noch nicht herumgesprochen hat. Längst zaubern nicht mehr nur Geburtstage, Hochzeiten, Silberjubiläen oder Goldene Konfirmationen jedem puritanischen Griesgram eine mehr als nur heimliche Festleshaltung ins Gesicht. Und längst füllen bestandene Abis, Führerscheinprüfungen, Renteneintritte oder Junggesellenabschiede samt Zwangserheiterung genervter Bahnfahrgäste auch im einst kreuzbiederen Altwürttemberg den Festkalender.

Es ist wahr. Die Schwaben können nicht nur schaffe, sie könnet au Party. Und wie. In einem der aktuellen Rankings nimmt Stuttgart - noch vor München - einen der vordersten Plätze unter den deutschen Party-Metropolen ein. Und gefeiert wird am Neckar neuerdings selbst im allerheiligsten urbanen Kehrwochen-Bezirk. In der Stuttgarter City laden derzeit sogenannten „Parklets“, Bretterverschläge mit Sitz- und Liegeflächen, auf öffentlichem (Park-)Raum zum Chillen ein. Die nicht minder feinstaubbelasteten Rooftop-Lounges einige Etagen darüber gehören sowieso schon lange zum Event-Pflichtprogramm des schwäbischen Young-Urban-Entertainments.

Aber auch der gesetzte Schwabe scheint inzwischen keinen noch so dämlichen Anlass mehr zu scheuen, um gegen sein Sauertopf-Klischee zu rebellieren. Der erste Milchzahn des Enkels, der überlebte Halbmarathon im Vorruhestand, die erfolgreiche Schnäppchenjagd: So ziemlich alles ist im Facebook-Fetenzeitalter inzwischen auch hierzulande partytauglich. Selbst in der tendenziell sinnenfeindlicheren Verwaltungswelt: „Mir dürftet wieder fahre“, hieß es voller Stolz im Stuttgarter Rathaus, als die Wiederinbetriebnahme des Haus-Paternosters den Stadtvätern allen Ernstes eine Party wert war.

Richtig bizarr wird es, wenn selbst die sogenannten Schattenseiten des Lebens zur Ehre zwanghaft gut gelaunter Geselligkeit erhoben werden: Scheidungen, Arbeitslosigkeit („große Freiheit“), Wohnungskündigungen, vermasselte Examen - sogar sie sind bei der Avantgarde der vernetzten Jubeltrubel-Szene willkommene Feiergelegenheiten, wenn auch mit Bewältigungsanteil.

Aber seien wir ehrlich: Letztlich mündet die Party-Manie, die keinen einzigen sauren Wochentag mehr duldet, in eine angestrengte, ruhe- und rastlose Geschäftigkeit, eine neue Freudlosigkeit. Ein großer Haufen künstlicher Höhepunkte ergibt am Ende halt auch bloß wieder ein ödes Flachland.