Quelle: Unbekannt

Von Christian Dörmann

Es gibt Dinge, bei denen man sich nur sehr ungern erwischen lässt. Dann müssen Ausreden herhalten. Wer dabei ertappt wird, wie er im „Playboy“ blättert, liest das Magazin natürlich nur wegen der hervorragenden Interviews zu gesellschaftlich relevanten Themen. Wer im Burger-Restaurant angetroffen wird, kann glaubhaft versichern, dass dies aus allen möglichen Gründen die ganz große Ausnahme ist. Und wer „Bravo“ liest oder gelesen hat, dann nur wegen der tollen Geschichten über die Stars und niemals wegen „Dr. Sommer“.

Die „Bravo“ ist jetzt 60 geworden. Und heute, da sich viele Bravo-Leserinnen und -Leser früherer Jahre dem Rentenalter nähern oder bereits dem Ruhestand frönen, kann man es ja zugeben: Klar haben wir das Heft verschlungen. Damals noch Woche für Woche, heute erscheint das Jugendmagazin nur noch alle 14 Tage - die sozialen Netzwerke lassen grüßen. Und klar haben wir nach einem kurzen Blick auf auf unsere Idole aus Rock, Pop und Film nach „Dr. Sommer“ gesucht und sind Gott sei Dank jedes Mal fündig geworden. Der Religionslehrer, Arzt und Psychotherapeut Martin Goldstein war Kult. Von 1969 an wusste er auf alle Fragen, die pubertierende Menschen bewegen, eine Antwort. Nein - die Antwort, vornehmlich wenn es um Sex ging. Dieses Wort hat man damals noch hinter vorgehaltener Hand geflüstert, und deshalb waren die Eltern ja auch so sauer, dass ihr Nachwuchs nichts Besseres zu tun hatte, als sich mit diesem „Schund“ zu beschäftigen.

Wir kennen die Fragen aus dem Kreis der seinerzeit riesigen Leserschaft, die bis heute immer wieder herhalten müssen, um „Dr. Sommer“ und seine Anhänger runter zu putzen. Etwa ob ein Zungenkuss zur Schwangerschaft führen könne oder wie die Spirale auf dem männlichen Geschlechtsteil anzubringen ist, damit es mit der Verhütung klappt. Die pure Unschuld spricht aus solchen Problemen, die den Jugendlichen von damals schlaflose Nächte bereitet haben. Die Ratschläge des Doktors wurden sodann in Schulhofecken diskutiert und manche aus der Runde kamen ganz groß raus, wenn sie bereits aus eigenem Erleben die These bestätigen konnten, wonach ein Zungenkuss zumindest schwangerschafstechnisch völlig harmlos ist.

„Dr. Sommer“ gibt es heute noch in der „Bravo“. Das macht natürlich nicht mehr der Doktor der ersten Stunde, sondern ein Team. Irgendwann hat man ja mal aufgehört, sich das Heft mühsam vom Taschengeld abzusparen, und mit den Jahren bedurfte es dann immer weniger des Ratschlags jenes Kummerkastenonkels in Liebesdingen. Ob wir es dann am Ende immer besser gewusst haben als er, steht auf einem anderen Blatt. Jetzt, da die „Bravo“ 60 geworden ist, bekennen wir Altvorderen uns zu „Dr. Sommer“ - keine Ausrede mehr. Ohne ihn wäre unsere Jugend ärmer gewesen.