Quelle: Unbekannt

Von Fabian Schmidt

Die Verteidigung gleich vorneweg: Es ist ein urschwäbischer Antrieb, der zu diesem Experiment geführt hat - einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Und so war die Reaktion auf das Angebot eines Kumpels, mit ihm am vergangenen Samstag in den Fanblock des Hamburger SV zu gehen, klar. Was mit dem weiß-roten Herzschlag im Block des Gegners passiert - das galt es herauszufinden. Ein paar befreundete VfB-Fans sind jedoch von der wissenschaftlichen Herangehensweise nicht zu überzeugen. „Fähnchen im Wind“, sagt einer. Ein enttäuscht schnaufendes Smiley schickt ein anderer. Die nächste Herausforderung stellt sich bei der Kleiderwahl: Die einzige stadiontaugliche Winterjacke ist eine vom VfB und fällt somit raus. Daher muss das Zwiebelprinzip herhalten. Der Kleiderschrank gibt sogar eine Reißverschlussjacke her, die dem Oberteil eines Matrosen ähnelt. Passt doch zu Hamburg. Ganz ohne VfB geht es aber auch nicht. Die Stutzen des Herzensvereins werden zur Sicherheit bis zu den Knien hochgezogen, nicht dass jemand den VfB-Schriftzug lesen kann. Trotz des Outfits identifizieren die HSV-Fans in der S-Bahn sofort die Klubzugehörigkeit. Egal, jetzt gibt es kein Zurück mehr.

In der Arena hätte ich mich fast verraten, als die VfB-Fans singen und der Körper mitwippt. Doch keiner bemerkt es. Anpfiff, und Chancen über Chancen für den Klub aus Cannstatt. Das Gute ist: Entsetzen über die schlechte Defensive aus Sicht der HSV-Fans gleicht optisch der Fassungslosigkeit über die ausgelassenen Chancen des VfB. Ungehemmte Emotionen sind also möglich. Anders beim Führungstreffer. Die Gefühle müssen in die Faust wandern, die sich - eng an den Körper angelegt - ballt. „Die sind einfach besser, sogar besser als Bayern“, sagt jemand. Balsam für die weiß-rote Fan-Seele. Der überraschende Ausgleich zerstört diese Wohltat. Jetzt bloß nicht aufregen. Im frenetischen Jubel ist ein Grinsen die einzige Reaktion, die mit dem Brustring im Herzen zu vereinbaren und für das Nichtauffallen notwendig ist.

Beim Siegtreffer des VfB kurz vor dem Abpfiff ist das Grinsen dann für den Brustring im Herzen notwendig und mit der Situation im Gästeblock gerade noch zu vereinbaren. Aber es ist etwas breiter, und die Zähne beißen ähnlich fest aufeinander, wie die Faust sich ballt. Grinsen in der Tristesse - ein durchaus erhabenes Erlebnis. Für das nächste Heimspiel gegen Borussia Dortmund im DFB-Pokal sind die Tickets für die Cannstatter Kurve bereits eingetroffen - und das ist auch gut so. Denn unterm Strich ist es viel schöner, sich mit den Gleichgesinnten zu freuen oder mit ihnen zu nörgeln. Aber wenn die Sparsamkeit des Schwaben herausgefordert wird, kann es durchaus sein, dass irgendwann mal wieder ein Abstecher in den Auswärtsblock des Stuttgarter Stadions führt.