Quelle: Unbekannt

Von Claudia Bitzer

Früher haben die Kinder noch wichtige Dinge richtig gelernt. Zum Beispiel Claudia B., ein Kind der späten 1950er-Jahre. Man schrieb das revolutionäre Jahr 1968. Als frühester Vogel der Familie hat sie spätestens um sechs Uhr das Radio aufgedreht. Und weil man im heiligen Korntal nie Radio Luxemburg empfangen konnte und das Internet noch nicht einmal als Teufelszeug verpönt war, musste man sich mit der Klangfarbe von Südfunk 1 begnügen. Die war selbstredend Deutsch und reichte vom „Lied der Berge“ des Montanara-Chors bis zum Medien Terzett mit seinem Ohrwurm „Ein Loch ist im Eimer, Karl Otto, Karl Otto, ein Loch ist im Eimer, Karl Otto, ein Loch.“ Und so war die Zehnjährige schon dankbar, wenn eine gewisse Manuela mit zwei bescheidenen Anglizismen von einem „Haus in Huckleberry Hill“ trällerte.

Nun hatte sie es sich zum Hobby gemacht, alle morgendlichen Titel in einen kleinen Kalender zu schreiben. Aber wie bitte schön sollte man als Grundschülerin im Jahr 1968 „Huckleberry Hill“ schreiben? Wir wissen nicht, was unsere heutige Kultusministerin Susanne Eisenmann gemacht hätte. Claudia B. hat den Musiktitel jedenfalls einfach nach Gehör in ihr Büchlein gekritzelt: „Das Haus von Hackelbärri Hill“. Und keiner hat es jemals zu sehen bekommen - geschweige denn korrigiert. Vom Grundschul-Englisch war 1968 ohnehin noch keine Rede.

Doch davon soll ja bald auch wieder keine Rede mehr sein. Also haben die Grundschüler von morgen demnächst wieder die gleichen Chancen wie die Grundschüler von vorgestern. Das ist Bildungsgerechtigkeit. Was will man mehr? Genau genommen hat die kommende Schülergeneration dann eigentlich gar keine Chancen mehr, ein englisches Wort auf Papier zu bringen, denn sie sollen ja nicht mehr nach Gehör schreiben.

Nun ist das Schreiben nach Gehör zugegebenermaßen nicht immer unproblematisch. Zum Beispiel wenn das Gegenüber nuschelt oder sich dem Hörer der Sinn einfach nicht erschließen will. Das war früher auch schon so. So hat sich die kleine Claudia immer gefragt, warum ihr Onkel Otto ein eigenes Weihnachtslied bekommen hat. Bis es sich irgendwann herausgestellt hat, dass es „Oh du Fröhliche“ und nicht „Otto Fröhliche“ hieß.

Aber es gab zwei Worte, die ihr lange Jahre wirklich kein Mensch erklären konnte: das „Schicksal“ aus den Märchenbüchern und die „Demut“ aus der Kirche. Denn ihre wahre Bedeutung lernt man nicht in der Schule, sondern erst im Laufe des Lebens. Nämlich dann, wenn man sein Schicksal demütig annehmen kann.

Gell, Frau Eisenmann?