Quelle: Unbekannt

Von Christian Dörmann

„Also ich“, sagt eine entfernte Bekannte, „tu’ mir diesen Stress gar nicht mehr an.“ Sie ist berufstätig und hat deshalb wenig Zeit. Oder sie gibt vor, wenig Zeit zu haben. Jedenfalls lässt sie das mit dem persönlichen Einkauf im Lebensmittelladen schon seit einiger Zeit sein. Zu viele Leute, lange Schlangen vor den Kassen, der unmittelbare Entscheidungszwang vor der Wursttheke: All das will sie nicht mehr. Deshalb füllt sie ihren Kühlschrank online.

„Du glaubst nicht“, behauptet besagte entfernte Bekannte, „wie entspannt das ist.“ Man sucht mutterseelenallein im Wohnzimmer und ohne jeden Entscheidungsdruck auf der Webseite seines Lebensmittellieferanten, was die virtuelle Welt so an schmackhaften Dingen bereit hält. Irgendwann ist die Einkaufsliste fertig. Man drückt auf „Senden“, und schon kurze Zeit später bringt der Bote Gemüse, Obst, Milch, Butter, Wurst und Käse ordentlich verpackt ins Haus. „Super“, freut sich die mittlerweile noch weiter entfernte Bekannte.

Sie ist übrigens zu hundert Prozent gehfähig, besitzt Führerschein und Auto und machte bisher einen eher kommunikativen Eindruck. Aber die Verlockungen des Netzes verändern offenbar die Menschen: Kein wunderbarer Duft frisch gebackenen Brotes in der Bäckerei mehr. Keine Nachbarin, der man hilft, die schweren Getränkekisten ins Auto zu wuchten. Kein freundliches Lächeln der Verkäuferin hinter der Wursttheke, die einen schon seit Jahren kennt. Kein Einkaufswagen, der einem vor der Kasse von hinten in die Hacken geschoben wird. Kein Kopfschütteln, wenn die gepflegte Dame wirklich jede Tomate begrapscht, bevor sie dann drei davon in die Tüte steckt. Kein Schwätzchen mehr auf dem Wochenmarkt. Keiner der fragt, ob es etwas mehr sein darf.

Eine entsetzliche Vorstellung. Nie war mir die entfernte Bekannte so entfernt wie jetzt.