Quelle: Unbekannt

Von Claudia Bitzer

Ach ja. Stiefmütterchen sind ja so bescheiden und dankbar. Wo der Frost den stolzen Blauregen geknickt hat, recken sie auch nach einer durchfrorenen Nacht ihre Köpfe noch in die Höhe. Und schon wenige Pflänzchen mutieren nach ein paar Tagen im Erdreich zum bodendeckenden Blumenteppich - gut zu beobachten alle Jahre wieder am Esslinger Schelztorturm.

Stiefmütterchen passen zum modernen Esslingen wie der Adler zur ehemaligen Reichsstadt: Sie sind nicht teuer, haben nur wenig Pflegebedarf und machen schnell was her. Die Farbkleckse übertünchen zudem, dass die Stadt andere Flecken im Ort eher stiefmütterlich behandelt. So sprießt aus der seit Jahren abgezäunten Bauruine des Stegs zur Frauenkirche mittlerweile unverdrossen das Unkraut aus dem Beton. Und wenn die Stadt noch lange mit dem Abriss des wachsenden Biotops wartet, wird sie dort erst einmal Zauneidechsen absammeln müssen, bevor der Bagger zubeißen darf.

Stiefmütterlich oder -väterlich scheint man im Rathaus aber nicht nur mit dem äußeren Erscheinungsbild der Stadt umzugehen. Jedenfalls hat man den Eindruck, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Amtsstuben derzeit geradezu fluchtartig die Stadt verlassen, wenn sie zuvor nicht schon öffentlichkeitswirksam geschasst worden sind. Weshalb die CDU jetzt ihre Fürsorgepflicht entdeckt hat und das rotierende Personalkarussell überprüfen lassen will. Nun gibt es fraglos tausenderlei gute Gründe, warum jemand sein sicheres Plätzchen verlässt. Aber in der Häufung liegt der Verdacht schon nahe, dass im Rathaus auch am emotionalen Dünger gespart wird. Oder an den Stützen, die mehr oder weniger zarte Pflanzen bei Gegenwind brauchen. Von einer wertschätzenden Ansprache einmal ganz abgesehen.

Vielleicht sollte sich die Verwaltungsspitze vor der nächsten Stellenausschreibung sachkundigen Rat aus dem Grünflächenamt holen und sich als Eingangsqualifikationen für sein künftiges Rathauspersonal die Eigenschaften von Stiefmütterchen auflisten lassen: Sie brechen bei Minusgraden nicht gleich zusammen, sind nicht besonders anspruchsvoll, wollen einer roten Rose nie Konkurrenz machen und überleben auch im Halbschatten.

Ein bisschen Pflege braucht aber selbst das demütigste Stöckchen.