Carina Kröll turnt am liebsten auf dem Schwebebalken. Viele Turnerinnen fürchten dieses schwierige Gerät. Foto: Rudel Quelle: Unbekannt

Von Karla Schairer

Esslingen - Vor drei Jahren traf die Eßlinger Zeitung schon einmal Carina Kröll. Damals sagte die zu der Zeit 12-jährige Turnerin des TSV Berkheim: Ich will 2016 nach Rio. Nun ist 2016. Und Rio ist in greifbare Nähe gerückt, nicht nur zeitlich. Auch sportlich hat Kröll gute Chancen, bei den Olympischen Spielen in diesem Sommer in Brasilien dabei zu sein.

Kröll ist nun drei Jahre älter. Aus dem Mädchen ist ein Teenager geworden, der ein Leben fern von dem führt, wie es normalerweise Mädchen in ihrem Alter haben. Chillen, Fernsehen, Freunde treffen - Carina Krölls Clique ist die Trainingsgruppe, die Turnhalle nennt sie ihr „zweites Zuhause“, ihr Sofa quasi der Schwebebalken. Auf dem posiert sie geduldig, bis der Fotograf das Bild im Kasten hat.

Training und Schule

„Jeden Tag stehe ich um 6 Uhr auf, außer am Samstag“, erzählt sie. Da darf sie eine Stunde länger schlafen. Ihr Vater fährt sie vom Zuhause in Neuhausen zum Kunstturnforum in Stuttgart, wo sie seit acht Jahren trainiert. Von 7.15 Uhr bis 9.15 ist sie im Kraftraum, dann Schule bis um 13 Uhr. In ihrer Mittagspause lernt sie oder bekommt Physiotherapie. Durch die wenigen Trainingspausen sind Krölls Muskeln sehr belastet. Der zweite Trainingsblock ist von 14 bis 17 Uhr. Dann geht es mit ihrem Vater, der auf dem Zollberg arbeitet und den Schlenker nach Stuttgart fährt, gemeinsam nach Hause. Oft stehen die beiden im Stau und Carina Krölls Tag wird noch länger. Auch samstags trainiert sie den Vormittag über. Sonntags hat Kröll eigentlich frei - wenn nicht Wettkämpfe anstehen. Das sind nicht wenige. Schließlich ist die Turnerin des TSV Berkheim im C-Kader der Nationalmannschaft und startet seit 2013 für den MTV Stuttgart in der Bundesliga. Vergangenes Jahr wurde sie mit dem MTV-Team deutsche Meisterin.

In diesem Jahr, in 2016, ist aber alles anders. Weil Olympia ist. „Ich bin fast gar nicht in der Schule“, erklärt Kröll. Auf dem Wirtemberg-Gymnasium, wo sie die zehnte Klasse besucht, legt Kröll ein Gastjahr ein. So etwas ist nur an einer Eliteschule des Sports möglich. Nur zwei Stunden täglich ist Kröll im Unterricht, hat die Basisfächer Mathe, Deutsch, Englisch und Französisch, um den Anschluss nicht zu verpassen. „Ich schreibe die Klassenarbeiten mit, wenn ich da bin, bekomme aber keine Noten und auch kein Zeugnis.“ Im nächsten Jahr wird sie die zehnte Klasse wiederholen, „dann steht Schule wieder an oberster Stelle“. Für die 15-Jährige ist die Ehrenrunde kein Problem. „Ich bin sowieso immer die Jüngste“, sagt sie schulterzuckend. Die wäre sie auch im Olympia-Team. Dass sie 2016 starten darf, ist eine Punktlandung: „Man muss im Olympia-Jahr 16 werden“,erklärt sie. Am 29. Dezember feiert sie Geburtstag. „Wäre ich ein paar Tage später geboren worden, dann hätte ich erst 2020 zu Olympia gedurft“, sagt sie. Der Geburtstag soll aber das einzig Knappe an Krölls Olympia-Teilnahme sein, wie sie sich wünscht.

„Balken ist mein Gerät“

Nachdem sich die deutschen Turnerinnen am vergangenen Wochenende bei den vorolympischen Spielen in Rio für die Wettbewerbe im August qualifizierten, hängt nun viel von Carina Krölls Einzelleistung ab. Dass sie nicht im Qualifikationsteam war, bedauert die Turnerin kaum. Dafür darf sie Anfang Mai zur EM nach Bern. Wichtig für ihre Nominierung ins Olympia-Team wird neben dem Abschneiden dort auch ihre Leistung in der Bundesliga mit dem MTV sein. „Die Chancen für eine Nominierung stehen eigentlich nicht schlecht“, sagt Kröll, die bei den Jugend-EM 2014 mit der Mannschaft Vierte wurde. Rund 15 Mädchen kämpfen um fünf Plätze, die Cheftrainerin Ulla Koch kurz vor den Spielen vergibt. „Rio wäre ein Traum, eine tolle Erfahrung“, sagt Kröll. „Ich habe mit Kim Bui (Turnerin des MTV, die bei Olympia 2012 in London dabei war, Anm. d. Red.) geredet. Olympia kann man nicht vergleichen. Das ist größer, unglaublich.“ Wer Krölls Platzierungen betrachtet, erkennt ihre Stärke am Balken. „Das Gerät, das die anderen fürchten“, sagt sie grinsend. Die Verletzungsgefahr am Balken ist hoch: Ein kleiner Wackler reicht, um auf dem nur zehn Zentimeter breiten Gerät zu stürzen. „Mir liegt es von klein auf, das ist mein Gerät. Es reizt mich, jedes mal bei einem neuen Element die Angst zu überwinden.“

Überwinden wird Kröll auch die Hindernisse, die noch zwischen ihr und Rio liegen. Denn Kröll ist kein normaler Teenager, und 2016 auch kein normales Jahr.