Oft im Trikot zu sehen: Joachim Schmid ist VfB’ler durch und durch. Foto: Rudel - Rudel

Stuttgart – Trotz des Abstieges und viel Unruhe im Verein strömen die Fans in Scharen zu Spielen des Fußball-Zweitligisten VfB Stuttgart. Auch die Anhänger blicken gespannt auf die Mitgliederversammlung am 9. Oktober, wo sich der umstrittene Wolfgang Dietrich zur Wahl als Präsident stellt. Aber auch bei den Fans sind die Meinungen zu Dietrich und anderen Themen im Verein sehr unterschiedlich, wie Joachim Schmid, der Vorsitzende des größten VfB-Fanclubs RWS Berkheim, erklärt.

Der Verein ist nach dem Abstieg nicht zur Ruhe gekommen. Im Gegenteil – der VfB kommt nicht aus den Schlagzeilen. Was für eine Stimmung herrscht im Fanlager?

Schmid: Es hat sich wieder etwas beruhigt. Aber als Trainer Jos Luhukay hingeworfen hatte und man dann im Stadion Heidenheimer Fans gehört hat, wie sie „Wir sind die Nummer eins im Land“ gesungen haben, war es schon frustrierend. Dieses „kleine Dorf“ steht in der Tabelle ja immer noch vor uns.

Die Unterstützung im Stadion ist aber nach wie vor sensationell.

Schmid: Die Karten für die ersten Spiele wurden ja sehr früh gekauft, zu Zeiten, als die Euphorie groß war. Man muss jetzt beobachten, ob in Zukunft auch so viele Leute kommen. Dazu braucht es den einen oder anderen Heimsieg. Wenn das Stadion wie gegen Heidenheim voll ist und die Mannschaft mit 1:2 verliert, ist das natürlich nicht förderlich. Auswärts bleibt das Interesse so groß, wie ich es auch in der Bundesliga nie erlebt habe. Das liegt aber an den unbekannten Stadien in der 2. Bundesliga – die wir hoffentlich nur einmal besuchen müssen.

Sie sprechen jetzt nur vom sportlichen Bereich.

Schmid: Am Ende hängt alles am sportlichen Erfolg. Aber das Drumherum sind natürlich Störfeuer.

Da gab es gewaltige Störfeuer. Mittlerweile ist ein Sportvorstand gefunden, der Trainer wurde ausgetauscht – fehlt noch ein Präsident. Glauben Sie, dass Wolfgang Dietrich am 9. Oktober gewählt wird?

Schmid: Ich kann schwer abschätzen, ob er gewählt wird. Wenn, dann sicherlich nur mit einem Stimmenanteil zwischen 50 und 60 Prozent. Es gibt ein großes Befürworterlager, aber auch ein riesiges Lager an Kritikern vor allem bei den aktiven Fans, die ihn niemals wählen werden.

Die Ultras lehnen Dietrich klar ab, Sprechen Sie für alle Fanclub-Mitglieder?

Schmid: Bei den Fanclubs ist das Bild schon differenzierter. Da geht es doch immer mehr um den Erfolg als um Prinzipien. Auch in meinem Fanclub gibt es Befürworter und Leute, die ihn ablehnen, vor allem wegen der Berichterstattung über seine Firmenbeteiligungen und seine früheren Rolle als Sprecher des Bahnprojektes Stuttgart 21. Wobei ich finde, dass Stuttgart 21 eigentlich kein Thema sein sollte. Mit dem langjährigen VfB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder habe ich auch nicht immer die politische Einstellung geteilt, trotzdem war er ein guter Präsident.

War es grundsätzlich klug vom Aufsichtsrat, einen Kandidaten vorzuschlagen, von dem man wusste, dass er sehr umstritten sein würde?

Schmid: Das ist schon eine schwierige Sache. Wir befinden uns in einer kritischen Phase. Dazu kommt, dass der Aufsichtsrat ohnehin das unbeliebteste Organ des VfB ist. Er ist seit Jahren nicht mehr entlastet worden. 

Es soll auf der Mitgliederversammlung einen Antrag auf Abwahl des Aufsichtsrates geben. Das Gremium steht seit Jahren praktisch permanent in der Kritik, obwohl die Personen dort wechseln.

Schmid: Das ist ein strukturelles Problem. Es liegt an der Zusammensetzung des Aufsichtsrates. Bei vielen Vereinen sind normale Mitglieder und Fanvertreter in dem Gremium und nicht nur Wirtschaftsbosse. Das polarisiert natürlich. Die Aufsichtsräte beim VfB sind nicht nahe genug an der Basis, weil sie sich vor allem in den VIP-Räumen aufhalten und nicht in der Kurve. Jetzt soll das Gremium ja auch wieder nur mit Leuten aus der Wirtschaft aufgefüllt werden, plus Ex-Profi Hermann Ohlicher. Wären Fanvertreter dabei, würde der Aufsichtsrat aufgewertet und stünde nicht so sehr in der Kritik.

Stellen wir uns vor, der Aufsichtsrat wird auf der Mitgliederversammlung abberufen und Wolfgang Dietrich wird nicht gewählt – wer soll die Aufgaben dann übernehmen?

Schmid: Wenn das passiert, weiß ich auch nicht, wohin der VfB driftet. Das Quorum ist nicht sehr hoch: Man braucht nur 50 Unterschriften und muss einige weitere Kriterien erfüllen, um für das Präsidentenamt zu kandidierten. Dass das offensichtlich nur einer geschafft hat und dann wieder zurückgezogen hat, ist kläglich für die 48 000 Mitglieder. Wer in die Opposition geht, muss auch Alternativen präsentieren. Mayer-Vorfelder ist damals auch aus der Opposition gekommen und hat dann den Laden übernommen.

Was muss passieren, damit der VfB endlich mal zur Ruhe kommt?

Schmid: Zum einen muss das Thema Ausgliederung der Profiabteilung abgeschlossen werden. Entweder man will das oder man will es nicht – die Entscheidung auf die lange Bank zu schieben, lähmt nur. Das Thema ist bei den Fans genauso umstritten wie Wolfgang Dietrich. Und es ist einfach so, dass der Verein nicht nahe genug an den Mitgliedern ist. Man bekommt zwar immer mehr Mails. Aber wenn darin etwa auch Dauerkarteninhaber aufgefordert werden, ein Ticket für das nächste Heimspiel zu kaufen, dann hat das nichts mit mehr Kommunikation zu tun, sondern hat eher Spam-Charakter.

Sie waren wie viele von Jos Luhukay als Trainer überzeugt. Hannes Wolf ist nicht nur wegen des geringeren Alters ein ganz anderer Typ. Was halten Sie von seiner Verpflichtung?

Schmid: Es ist eine mutige Entscheidung. Wenn er tatsächlich ein zukünftiger Thomas Tuchel oder Jürgen Klopp ist, hat man richtig entschieden – wenn es wie mit Thomas Schneider läuft, muss man bald wieder wechseln. Ich kann ihn schwer einschätzen, aber er hat bei seiner Vorstellung einen guten Eindruck gemacht. Er kennt sich als erfolgreicher Dortmunder Jugendtrainer im Nachwuchsbereich ja gut aus und hat da ein gutes Standing, vielleicht kann er das eine oder andere Talent für den VfB gewinnen.

Sind Sie nach wie vor davon überzeugt, dass die Mannschaft den direkten Wiederaufstieg in die Bundesliga schafft?

Schmid: Ein Fan ist immer optimistisch. Wir sind nicht weit von der Spitze entfernt, aber wir sollten am Montag gegen Greuther Fürth nicht wieder eine Heimniederlage kassieren wie gegen Heidenheim.

Das Gespräch führte Sigor Paesler.

Zur Person: 

Die Rot-Weißen Schwaben Berkheim sind der älteste und mit 1150 Mitgliedern größte offizielle VfB-Fanclub. Der Vorsitzende Joachim Schmid ist 58 Jahre alt, unverheiratet, Beamter von Beruf und sitzt für die SPD im Esslinger Stadtrat.