Bernd Wahler wirbt engagiert für das Projekt der Ausgliederung der Profiabteilung. Zunächst aber liegt ihm der Klassenverbleib am Herzen. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Stuttgart - Es sind unruhige Zeiten beim Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart. Die Vereinsführung bereitet sich mit großem Aufwand auf die Mitgliederversammlung am 17. Juli vor, auf der über die Ausgliederung der Profi-Abteilung in eine AG abgestimmt werden soll. Über allem aber schwebt die Abstiegsgefahr, in der die Mannschaft nach der jüngsten Niederlageserie wieder steckt. Sie treibt auch Präsident Bernd Wahler um, wie er beim Besuch in der Redaktion unserer Zeitung erzählt. Der 57-Jährige stärkt Trainer Jürgen Kramny den Rücken: „Er hat unser Vertrauen.“

Die Entwicklung beim VfB in den vergangenen Wochen ging nach unten. Negativer Höhepunkt war das 0:1 in Augsburg. Jetzt kam noch das 0:3 gegen Borussia Dortmund dazu. Wie ernst beurteilen Sie die Lage?

Wahler: Das Augsburg-Spiel hat sich auf die Stimmung ausgewirkt. Es war nicht das erste Mal, dass ein Spiel gegen Augsburg in der Tabelle einen richtungsweisenden Charakter hatte. Das war uns im Vorfeld bewusst - umso ärgerlicher ist es, dass es dann wieder passiert ist. Zumal es ja wirklich nicht nötig war, es war eine vermeidbare Niederlage, so wie zuvor die Niederlage gegen Hannover.

Nach dem Spiel gegen Dortmund waren die Reaktionen nicht so klar wie nach dem in Augsburg. Sie reichten von, die Mannschaft habe sich nicht gewehrt, bis zu, dass sie gegen diesen Gegner ohnehin chancenlos sei. Aber gut war doch auch dieser Auftritt nicht?

Wahler: Das ist mehr eine Sache der Mentalität, die mich ärgert. Es kann nicht sein, dass wir zufrieden sind, wenn wir gegen Bayern oder gegen Dortmund verlieren und dann sagen: Ach, so schlecht war es doch gar nicht. Das kann nicht unser Anspruch sein. Wissend, dass diese Mannschaften eine andere Qualität haben und wir einen Tag brauchen, an dem alles passt, damit wir eine Chance haben. Es hat aber nicht alles gepasst.

Bei den Spielern hatte man nicht das Gefühl, dass sie an ihre Chance glauben.

Wahler: Das ist genau, was mich ärgert. Es geht um dieses Spiel, aber es geht auch um die Gesamtstimmung. Und da bin ich einfach der Meinung, dass wir als Verein und als Mannschaft vorleben müssen, dass wir uns zerreißen und alles geben. Wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben zu sagen: Die sind halt besser, und damit ist es erledigt.

Hätten Sie sich vor ein paar Wochen vorstellen können, dass es in Sachen Klassenverbleib nochmal so eng wird?

Wahler: Als wir nach der Winterpause diese tolle Siegesserie hatten, haben uns ja viele schon in Richtung internationale Plätze geschrieben. Da habe ich mich nie eingereiht. Ich habe mich gefragt, ob wir wirklich schon stabil genug sind. Dass sich die Situation jetzt nochmal so zuspitzt, wollten wir vermeiden. Wir haben immer auch nach unten geschaut. Jetzt haben wir zwei Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz und die müssen wir mit aller Kraft verteidigen.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum es so gelaufen ist?

Wahler: Ich denke schon, dass die Verletzungsprobleme ein Grund sind. Wir haben während der Siegesserie fast immer mit einer identischen Mannschaft gespielt, die sich stabilisiert hat. Es ist wie bei einem Mobile: Wenn ein Teil geändert wird, hat das Auswirkungen auf das ganze System. Das ist bei uns leider passiert. Wir haben nicht die Möglichkeit, eins zu eins so auszutauschen, damit das System genauso gut funktioniert wie vorher. Aber wir haben trotzdem die Qualität, den Klassenverbleib zu packen.

Trainer Jürgen Kramny hat weiter Ihr Vertrauen?

Wahler: Ja. Wir können beurteilen, was Jürgen Kramny leistet, wie er mit der Mannschaft umgeht, wie er sie einstellt. Daher sind wir der Überzeugung, dass er der richtige Trainer ist. Wenn man die Rückrundentabelle anschaut, dann ist die Mannschaft unter Jürgen Kramny immer noch Siebter. Und wir sind sicher, dass wir am Ende mit ihm den Klassenverbleib schaffen.

Jürgen Kramnys Stärke, womit er auch Sie überzeugt hat, waren seine taktischen und personellen Maßnahmen. Zuletzt lag er nicht immer richtig. Aber wer entscheidet, kann auch mal daneben liegen . ..

Wahler: Das ändert überhaupt nichts an meiner Meinung. Er hat unser Vertrauen.

Die Entwicklung verläuft anders herum als in der vergangenen Saison. Da kam die Mannschaft von unten und hat durch eine Leistungsexplosion den Klassenverbleib noch geschafft.

Wahler: Aber erst in den letzten drei Spielen.

Diesmal wurde die Leistung zuletzt von Spiel zu Spiel schwächer.

Wahler: Das war vor einem Jahr bis zum viertletzten Spieltag auch so.

Bereitet Ihnen das keine Sorgen?

Wahler: Im vergangenen Jahr hatten wir das viertletzte Spiel gegen Schalke verloren, da hat jeder gedacht, dass wir abgestiegen sind. Es gab keinen Hinweis darauf, dass die Kurve nach oben gehen würde. Aber wir haben es noch geschafft. Jetzt geht es nach Bremen, da müssen wir etwas holen - idealerweise einen Sieg.

Sie betreiben einen großen Aufwand, um die Mitglieder für das Projekt der Ausgliederung der Profiabteilung in eine AG zu überzeugen. Unter anderem mit insgesamt 22 Regionalen Versammlungen wie zuletzt in Esslingen. Die sportliche Situation ist da bestimmt nicht hilfreich.

Wahler: Es ist leider so, dass die sportliche Situation nicht unbedingt hilft. Die Sorgen, was den Klassenverbleib betrifft, sind bei den Mitgliedern vorherrschend. Wenn wir aber die Veranstaltungen machen, stellen wir fest, dass sich die Leute des Themas annehmen und dann auch offen sind. Es ist ein aufwendiger Prozess, der nicht immer einfach ist. Aber es lohnt sich, wir haben Vertrauen zurückgewonnen und auch von den Mitgliedern gelernt. Wir haben Antworten geliefert. Es gibt Verständnis dafür, dass wir das Richtige tun, um den Verein voranzubringen.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass die sportliche Entwicklung verhindert, dass Sie auf der Mitgliederversammlung am 17. Juli eine Mehrheit für Ihr Vorhaben bekommen?

Wahler: Ich gehe davon aus, dass wir den Klassenverbleib schaffen und dass dann die zwei Monate danach, in denen wir noch die Europameisterschaft haben, reichen, um die Mitglieder weiter zu informieren und zu mobilisieren. Denn am Ende entscheiden die Mitglieder, wir können nur einen Vorschlag machen. Damit haben sie eine große Verantwortung. Ich gehe davon aus, dass sie diese annehmen und dass die Mitglieder dann auch so entscheiden, dass wir für die Zukunft mehr Handlungsspielraum und eine andere wirtschaftliche Basis haben, um damit den Motor wieder zum Laufen zu bringen und aus dem Teufelskreis herauskommen.

Sie sind im September drei Jahre im Amt, haben viel angestoßen - nur auf dem Platz sieht man davon noch kein Resultat. Ist das nicht frustrierend?

Wahler: Wir hatten in dieser Saison ja schon eine Phase, in der es auch sportlich in die richtige Richtung ging. Da müssen wir wieder hinkommen.

Können Sie den Fans eine Per-spektive geben, wann es mal wieder eine Saison ohne großes Zittern geben wird?

Wahler: Das war unser Wunsch für diese Saison, jetzt wird es am Ende enger, als uns allen lieb ist. Insgesamt gehen wir bewusst einen Weg der kleinen Schritte, der nachhaltig angelegt ist. Ich bin davon überzeugt, dass wir den Klassenverbleib schaffen, nur das steht jetzt im Fokus.

Was erhoffen Sie sich von der Initiative Marktwert, in der sechs Traditionsvereine um eine andere Verteilung der Fernsehgelder kämpfen? Das sieht ein bisschen nach einem verzweifelten Versuch einiger Abgehängter aus, um wieder Anschluss zu bekommen.

Wahler: Ich sehe das schon ein bisschen anders. Es haben sich sechs Vereine zusammengeschlossen, nachdem die DFL gesagt, hat, sie würde Vorschläge begrüßen. Da ist der Tabellen-Vierte dabei, der ist nicht abgehängt. Es ist der Achte dabei, der ist auch nicht abgehängt. Und es gibt Vereine wie wir und Werder Bremen, die derzeit ein bisschen weiter hinten stehen. Der HSV ist jetzt Zehnter und leider auch nicht mehr abgehängt (lacht).

Aber es sind zum größten Teil schon Vereine mit ähnlichen Problemen.

Wahler: Die Einnahmen aus den Fernsehgeldern - und das ist unsere größte Einnahmequelle - werden durch die momentanen Vertragsverhandlungen der DFL größer. Dass es einen Solidarbeitrag gibt und dass das sportliche Abschneiden bei der Verteilung ein wesentlicher Aspekt ist, zweifeln wir nicht an. Aber es gibt noch andere Kriterien. Es geht darum, wer welchen Beitrag zum Produkt Bundesliga leistet. Und wer welches Spiel guckt. Dazu gehören die Fans. Und da ist ein Unterschied, ob von uns 3000 bis 4000 Fans zu Auswärtsspielen kommen oder bei anderen hundert. Die Kritik, wir würden uns die Vergangenheit bezahlen lassen, stimmt nicht. Wir wollen uns nicht für Zuschauer bezahlen lassen, die wir 2007 bei der deutschen Meisterschaft hatten, sondern für die, die wir heute haben und die wir morgen haben werden. Natürlich hat das auch mit der Tradition zu tun.

Ist es realistisch, dass Sie sich durchsetzen?

Wahler: Ich denke schon, weil es logisch ist und weil es in anderen Ländern so praktiziert wird. Es wäre aus unserer Sicht eine gerechtere Verteilung, und nur darum geht es. Entschieden wird es dann im Ligavorstand.

Muss man für die höheren Fernsehgelder die Kröte mit einem entzerrten Spielplan und den Montagsspielen schlucken?

Wahler: Ich bin kein Freund von Montagsspielen, sie machen es für die Fans schwierig. Auf der anderen Seite fallen in Zukunft zwei Mittwochsspiele weg, so dass wir am Ende über drei Spiele von 306 reden. Die Sorge der Fans, dass dies nur der Anfang sei, wurde von DFL-Geschäftsführer Christian Seifert deutlich entkräftet. Es ist ein Kompromiss, in dem wir als Solidargemeinschaft Bundesliga eingebunden sind und bei dem auch die Belange des Amateurfußballs mit seinen Sonntagsspielen berücksichtigt wurden.

Welche Situation würden Sie sich für heute in einem Jahr wünschen - der VfB als AG und auf Platz acht?

Wahler (lacht): Damit könnte ich super leben.

Das Gespräch führten Hannes Kern und Sigor Paesler.

Zur Person

Bernd Wahler (57) ist seit dem 2. September 2013 hauptamtlicher Präsident des VfB Stuttgart. Davor war der Marketing-Spezialist in verschiedenen Funktionen für die Sportartikel-Hersteller Adidas und Nike tätig. Der frühere Jugendfußballer des VfB - C- und B-Jugend - wurde in Schnait im Remstal geboren, wo er seit seiner Rückkehr in die Region wieder lebt. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.