2016: Rainer Widmayer dirigiert die Spieler von Hertha BSC Berlin. Foto: dpa - dpa

Stuttgart - Für Rainer Widmayer sind es Tage in der schwäbischen Heimat. Nach dem 3:2-Pokalerfolg in Heidenheim am Mittwochabend fuhr der Tross von Hertha BSC Berlin gleich weiter nach Stuttgart, wo der Tabellendritte der Fußball-Bundesliga heute (15.30 Uhr) beim besten Rückrundenteam VfB antritt. Mit dabei Hertha-Assistenztrainer Widmayer, der früher in Stuttgart in derselben Position sowohl für das Amateur- als auch für das Bundesligateam tätig war. Der 48-Jährige freut sich über den unerwarteten Erfolg der Berliner - und auch über den Aufschwung der Stuttgarter: „Ich glaube, der VfB gewinnt weiter an Sicherheit und zieht das bis zum Saisonende durch“, sagt der gebürtige Sindelfinger im Interview.

Was ist los bei der Hertha?

Widmayer: Da ist ganz einfach hart gearbeitet worden seit dem Fastabstieg am Ende der vergangenen Saison. Seit dieser Situation hat sich bei uns etwas getan. Die Mannschaft ist noch enger zusammengerückt, die Jungs waren in der Vorbereitung sehr fleißig. Unsere Spielphilosophie wurde von Woche zu Woche stabiler umgesetzt. Nach 20 Spieltagen haben wir 35 Punkte - so viele hatten wir in der vergangenen Saison am Schluss. Da wollen wir dranbleiben. Wir wollen auch unseren Traum leben, dass Hertha BSC mal in Berlin im Pokalfinale steht. Auch dafür haben wir wieder einen Schritt gemacht.

Aber nur mit harter Arbeit ist das doch nicht zu erklären?

Widmayer: Der Befreiungsschlag durch den abgewendeten Abstieg hatte seine Wirkung. Aber auch die Neuzugänge haben gut eingeschlagen. Das Selbstbewusstsein wurde von Spiel zu Spiel größer. Aber die Bundesliga ist ein Tagesgeschäft, wir dürfen keinen Deut nachlassen.

Das ist ein gutes Stichwort: Wohin führt der Weg - außer möglicherweise ins Pokalfinale in Berlin?

Widmayer: Das ist schwierig zu sagen. Unser Ziel ist zuallererst, ein Spiel zu gewinnen - wir haben in diesem Jahr drei Mal unentschieden gespielt. Wenn wir es schaffen, konstant bis zum letzten Spieltag immer wieder Punkte zu sammeln, kann es unter die ersten acht Mannschaften reichen.

Das ist relativ bescheiden formuliert. Wie reagiert denn das Berliner Publikum, das in den vergangenen Jahren nicht gerade verwöhnt war und sich teilweise abgewendet hat?

Widmayer: Die Entwicklung wird kritisch beäugt und es wurde in der Hinrunde immer wieder hinterfragt, ob die Mannschaft wirklich so stabil ist und oben dranbleiben kann. Aber jetzt wird immer mehr gesehen, dass ein guter Weg eingeschlagen wurde und die Mannschaft ordentlich Fußball spielt. Zuletzt gegen Dortmund war das Stadion zum ersten Mal in dieser Saison ausverkauft. Da könnte sich schon etwas entwickeln zwischen Publikum und Mannschaft. Aber Sie haben recht: In den vergangenen Jahren haben sich viele Leute in Berlin gefragt, ob sie zum Fußball gehen sollen oder doch lieber zum Basketball oder Handball. Jetzt sind wir dabei, die Menschen mit unserer Arbeit zu überzeugen und hoffen, dass es glaubwürdig rüberkommt, was wir anbieten.

Cheftrainer Pal Dardai wird gefeiert, aber auch Ihnen wird ein großer Anteil des Erfolges zugeschrieben.

Widmayer: Es ist ähnlich wie in großen Firmen: Der Eigene zählt weniger bei seinem Verein, bei dem er angefangen hat. Beim VfB hatte ich nicht so einen Zuspruch wie ich das jetzt in Berlin erlebe. Da wird die Arbeit ganz anders honoriert. Das ist keine Kritik am VfB, es ist überall so und ich habe damit kein Problem. Ich bin ein Schwabe in Berlin, der die schwäbischen Tugenden lebt: Fleißig zu sein und eher mit Demut durch die Stadt zu gehen und Taten sprechen zu lassen. Das passt dort.

Damit sind Sie ein hervorragender schwäbischer Botschafter in Berlin . . .

Widmayer (lacht laut): Genau. Aber auch das ist eine Momentaufnahme. Man muss das immer wieder aufs Neue bestätigen.

Erst im Sommer ist Vedad Ibisevic von Stuttgart nach Berlin gewechselt. Verstehen Sie, warum er beim VfB nicht mehr getroffen hat, bei der Hertha jetzt aber wieder so wie früher?

Widmayer: Es ist ganz schwierig zu erklären. Ich war ja in Stuttgart nicht dabei. Ich kann nur bestätigen, dass er körperlich in einem Top-Zustand zu uns gekommen ist. Man merkt, dass ihn der VfB nicht links liegen gelassen hat. Er hat sich bei uns sofort gut eingelebt. Die Luftveränderung hat ihm gutgetan. Es hat niemand beim VfB etwas falsch gemacht, aber es gibt immer wieder Momente, in denen es nicht so passt und eine Veränderung hilft, um wieder in die Spur zu kommen.

Ibisevic wird sich gegen die ehemaligen Kameraden bestimmt beweisen wollen. Ist es für Sie auch noch das besondere Spiel in Stuttgart?

Widmayer: Immer. Das ist immer noch mein Heimstadion. Ich bin einfach ein VfB’ler. Das wird auch die Zeit bei Hertha nie überdecken können. Ich bin in der Region aufgewachsen und schon früh mit meinem Vater ins Stadion gegangen. Später hat mir der VfB geholfen, dass ich im Trainerberuf Fuß fassen konnte. Das werde ich nie vergessen. Der Verein ist für mich eine Herzensangelegenheit.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung beim VfB?

Widmayer: Die Mannschaft hat Qualität. Ich habe nicht damit gerechnet, das sie unten reinrutscht. Mit Alexander Zorniger hat es vielleicht nicht gepasst. Das wurde korrigiert und in Jürgen Kramny ein Trainer installiert, der die Mannschaft - soweit ich das beurteilen kann - wieder zusammengeführt hat. Ich habe das Pokalspiel gegen Dortmund im Stadion beobachtet - es war richtig gut, wie die Mannschaft Fußball gespielt hat. Die Jungs sind nach vorne saugefährlich. Ich glaube, der VfB gewinnt weiter an Sicherheit und zieht das bis zum Saisonende durch.

Sie waren von 2008 bis 2009 Co-Trainer von Markus Babbel in Stuttgart - gemeinsam mit Alexander Zorniger. Es gibt Stimmen, die sagen, man hätte im vergangenen Sommer den anderen ehemaligen Babbel-Assistenten zum Chefcoach machen sollen . . .

Widmayer: Das kann ich nicht beeinflussen, ich bin jetzt bei Hertha angestellt. Aber wie ich schon sagte: Wenn unser Spiel vorbei ist, schaue ich immer gleich, wie der VfB gespielt hat. Ich habe immer noch freundschaftliche Kontakte zum VfB, etwa zu Georg Niedermeier, für den ich mich sehr freue, dass er wieder spielt. Aber jetzt will ich erst einmal von meiner Mannschaft eine ordentliche Leistung sehen.

Wann sieht man Rainer Widmayer als Cheftrainer?

Widmayer: Das kann ich heute nicht sagen. Es muss natürlich passen. Man darf es nicht machen, um sagen zu können, dass man Cheftrainer ist. Dann arbeite ich lieber wie jetzt in einem Team mit, bei dem ich überzeugt bin, dass es eine gute Sache ist. Aber es ist für mich schon ein großes Ziel, irgendwo als Cheftrainer zu arbeiten. Das traue ich mir zu.

Irgendwo? Oder am liebsten beim VfB?

Widmayer: Das glaube ich weniger, die Chance werde ich dort nicht bekommen.

Das Interview führte Sigor Paesler.