In der Stuttgarter Suchtpraxis werden derzeit 80 Schwerstabhängige mit Diamorphin behandelt. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Jan-Philipp Schütze

Stuttgart - Der Bedarf an der Stuttgarter Suchtpraxis, in der Schwerstdrogenabhängige künstlich hergestelltes Heroin erhalten, ist ungebrochen hoch. Eigentlich müssten noch viel mehr Patienten mit Methadon oder Diamorphin versorgt werden, doch es mangelt an Ärzten. Auch die Finanzierung der psychosozialen Betreuung auswärtiger Patienten sorgt für Probleme.

Seit der Eröffnung der Schwerpunktpraxis für Suchtmedizin im Sommer 2014 ist die Zahl der Behandlungen stetig angestiegen. Allein im vergangenen Jahr wurden insgesamt 663 Patienten versorgt, aktuell befinden sich am Standort in der Kriegsbergstraße 80 Drogensüchtige in der Diamorphinsubstitution, weitere 115 erhalten Methadon. Am zweiten Standort in der Senefelderstraße werden derzeit 134 Substitutionspatienten allgemeinmedizinisch und psychotherapeutisch versorgt. Die Therapieplätze sind restlos belegt. „Wir nehmen aktuell keine Patienten mehr auf“, sagte Praxisleiter Andreas Zsolnai gestern im Sozial- und Gesundheitsausschuss des Gemeinderates. Es gebe einen großen Bedarf an der Einrichtung, die in dieser Form einzigartig und ein bundesweites Vorzeigemodell sei.

Das Angebot bedeute jedoch einen großen personellen Aufwand, so Zsolnai. Patienten, die mit Diamorphin behandelt werden, müssen bis zu dreimal am Tag in die Suchtpraxis kommen, um sich das synthetische Heroin unter Aufsicht selbst zu spritzen. Das Team der Suchtpraxis besteht aktuell aus vier Ärzten, einem ärztlichen Psychotherapeuten, zwei psychiatrischen Fachärzten, einem Weiterbildungsassistenten und einem 13-köpfigen Pflegeteam. Sorgen bereitet Zsolnai der drohende Ärztemangel im Substitutionsbereich. Die derzeit tätigen Substitutionsärzte werden im Schnitt immer älter, viele von ihnen steuern auf die Rente zu. Dass der dringend benötigte Nachwuchs fehlt, hat laut Zsolnai mehrere Gründe. Zum einen sei die Finanzierung der Substitution nicht ausreichend, um allein mit diesem Angebot eine Praxis zu unterhalten. Zum anderen tauche die Suchtmedizin zu wenig in der ärztlichen Ausbildung auf. „Da ist ein großes Problem“, so Zsolnai.

Dazu kommen die hohen juristischen Hürden. Substitutionsärzte benötigen eine besondere Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung, um Drogenpatienten behandeln zu dürfen. Hausärzte können zwar ebenfalls Suchtpatienten versorgen, jedoch nur bis zu drei pro Quartal und mit Beratung durch einen Substitutionsarzt. In Stuttgart gibt es insgesamt rund 900 Substitutionsplätze, die derzeit allesamt belegt sind. Er wünsche sich, so Zsolnai, dass die Politik Lösungen finde, um dem Ärztemangel entgegenzuwirken.

Sorgen macht dem Leiter der Suchtpraxis zudem eine unklare Finanzierungslage bei der psychosozialen Betreuung der Diamorphinpatienten, die zusammen mit der Drogenberatungsstelle Release durchgeführt wird. Die Kosten für die Betreuung übernahm bislang das Sozialministerium - und zwar unabhängig davon, ob die Patienten aus Stuttgart oder von außerhalb kommen. Das Einzugsgebiet der Praxis reicht bis nach Ellwangen. Die Landesförderung sei nun zum 1. Januar 2017 ausgelaufen, so Zsolnai. Für die Patienten aus Stuttgart ändere sich dadurch nichts, dafür aber für die 29 Diamorphinpatienten, die aus anderen Landkreisen zur Behandlung nach Stuttgart kommen. Damit sie wie bisher psychosozial betreut werden können, müssten die Landkreise die Kosten tragen. Pro Patient wären das 1500 Euro im Jahr. Mit Ausnahme von Heilbronn wolle aber kein Landkreis die Kosten übernehmen, so Zsolnai.

Dass die Betroffenen künftig in ihren Heimatlandkreisen psychosozial betreut werden, sei in der Realität kaum möglich, so Zsolnai, da sie ja bereits bis zu dreimal täglich zum Diamorphinspritzen in Stuttgart seien. Am 17. Februar soll es ein Gespräch mit den Fachleuten aus den Landkreisen geben, um eine Lösung zu finden.