Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft raste der Fahrer des VW Polo absichtlich in die Stadtbahn. Bei dem Unfall wurde seine Frau, die neben ihm im Auto saß, lebensgefährlich verletzt. Foto: SDMG/Werner Quelle: Unbekannt

Stuttgart (wic) - War es ein geplanter Selbstmord, ein versuchter Mord an der eigenen Ehefrau oder gar eine Tat im psychischen Wahn? Als am 23. November vergangenen Jahres ein Kleinwagen am Löwentor frontal auf eine entgegenkommende Stadtbahn krachte, sah zunächst alles nach einem Unfall aus. Bereits einen Tag später nahm die Polizei den Autofahrer fest, seit gestern sitzt der 36-Jährige auf der Anklagebank am Landgericht.

Wegen versuchten Mordes, gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr und Sachbeschädigung muss sich der aus Marokko stammende Mann vor der 2. Schwurgerichtskammer verantworten. Beim Prozessauftakt machte der Langzeitstudent, der sich in vielen Fachrichtungen versucht hat, einen aufgeräumten Eindruck. Er trug Jeans, ein rot-weißes Karo-Hemd, einen dunklen Wollpulli und eine schwarze Brille. Seine Stimme war oftmals kaum zu verstehen. Mehrfach wurde er aufgefordert, lauter zu sprechen.

Deutlicher zu hören, war dagegen die Staatsanwältin. Sie warf dem Angeklagten vor, heimtückisch gehandelt zuhaben, als er seinen VW Polo in der Nordbahnhofstraße „absichtlich“ auf die Gleise der entgegenkommenden Stadtbahn steuerte. Damit habe er seine neben ihm sitzende „arg- und wehrlose“ Ehefrau umbringen wollen. Immerhin soll der Beschuldigte mit rund 80 Kilometern pro Stunde bewusst auf das separate, aber ausbetonierte Gleisbett gefahren sein. Kurz vor dem Frontalzusammenstoß habe er noch beschleunigt und so den Tod seiner Frau in Kauf genommen.

Die 33-Jährige erlitt lebensgefährliche Verletzungen, unter anderem eine Wirbel-Fraktur und Lungenrisse. Auch der Angeklagte wurde schwer verletzt. Der Schaden an der Stadtbahn wird auf mehr als 50 000 Euro beziffert, der Polo, der noch einen Restwert von 4000 Euro hatte, war schrottreif. Bereits am Tag nach dem Unfall kamen den Ermittlern aufgrund des sonderbaren Verhaltens des Verursachers erste Bedenken, ob es sich hier wirklich um einen Unfall handelte. Der 36-Jährige kam zunächst in Untersuchungshaft, wenig später vorläufig in ein psychiatrisches Krankenhaus.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Mann an einer paranoid psychischen Störung leidet. Während der Tat, also dem versuchten heimtückischen Mord, sei seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit krankheitsbedingt vollkommen aufgehoben gewesen. Dennoch sei er laut Anklägerin in diesem krankhaften Zustand eine Gefahr für die Allgemeinheit und müsse dort bleiben, wo er jetzt ist - in der Psychiatrie.

Zum Unfallhergang schwieg der Angeklagte. Auch Fragen zu seiner offensichtlich schon seit Jahren bestehenden psychischen Krankheit wollte er nicht beantworten. Seine Ehefrau machte ebenfalls von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Gleichzeitig ließ die Grundschullehrerin die Richter aber wissen, dass man weiter zusammenbleiben werde und sie ihn sofort zu sich nach Hause hole, wenn er wieder in Freiheit sei. Sie wisse, dass er krank sei und hoffe, dass er wieder „zurück ins Leben findet“.

Im Vorfeld der Verhandlung hatte der Angeklagte gegenüber einem psychiatrischen Gutachter zu seinem Gesundheitszustand und zum Tatgeschehen Angaben gemacht, die der Experte gestern im Zeugenstand vortrug. Demnach sei der Angeklagte zunächst auf der Pragstraße im Stau gestanden, dann habe er plötzlich nichts mehr gesehen und aus Angst beschleunigt. Nach dem Unfall sei er ausgestiegen und habe gesehen, wie seine Frau aus der Nase blutete. Er fühlte sich beobachtet, zeigte dem Gutachter eine Stelle am Rücken, wo man ihm angeblich ein Navigationsgerät unter seine Haut implantiert hätte, um ihn zu steuern. Tage vor dem Unfall hätte er in TV-Werbespots und auch im Internet seltsame Geräusche vernommen, die ihm galten. Und in seinem Keller zu Hause gäbe es rot-schwarze Bilder, die das Paradies und die Hölle veranschaulichen.

Die Schwurgerichtskammer hat insgesamt vier Verhandlungstage angesetzt. Das Gericht will am 11. Mai entscheiden, ob der 36-Jährige für immer hinter psychiatrischen Mauern verbleibt.