Quelle: Unbekannt

Von Andrea Eisenmann

Stuttgart - Hahn im Korb, denkt man unwillkürlich, wenn man Tobias Graf sieht. Der drahtige Mann mit der dunklen Brille steht vor einer gegen ein Regal gelehnten Holzwand. Vor ihm sitzen zwei Dutzend Frauen auf Bierbänken, jede seiner Bewegungen wird verfolgt, jedem Wort aufmerksam gelauscht. „Fliesen ist nicht schwer. Man muss nur wissen, worauf es ankommt“, motiviert Graf seine Zuhörer gleich zu Beginn. Diese sind ausschließlich weiblich, was daran liegt, dass Bauhaus in Untertürkheim an diesem Freitagabend nach Betriebsschluss zur „Women‘s Night“ eingeladen hat. Die kostenlosen Kurse, bei denen Männer draußen bleiben müssen, sind hier bereits zu Selbstläufern geworden. Auch dieses Mal haben sich nach 20 Uhr bis zu 100 Teilnehmer - Pardon - Teilnehmerinnen eingefunden. Schnittchen, Sekt, Orangensaft und Chips stehen zur Stärkung am Eingang bereit. Vor 23 Uhr werden nur wenige das Heimwerker-Paradies verlassen, weiß Markus Gryska aus Erfahrung. Jedes Jahr fragt der Geschäftsführer am Ende der Veranstaltung ab, was man am Angebot noch verbessern könne. Und so hat er nicht nur erstmals Bier bereitgestellt, sondern auch den Kurs „Armaturen wechseln“ mit im Programm untergebracht. Auch sonst wird einiges geboten: Neun verschiedene Kurse finden parallel statt; sie reichen von kreativer Holzbearbeitung über Sprühlackieren bis zu hin zur Frage: Wie erstelle ich ein Terrassendeck? Auch ein „Werkzeugführerschein“ kann abgelegt werden.

Fliesenkleben beliebt

Doch zurück zu Tobias Graf, der gerade eine Zahnkelle in die Höhe hält. „Die Zahnung richtet sich nach der Größe der Fliesen“, führt er aus. „Auch der Untergrund ist entscheidend. Je unebener dieser ist, desto größer sollte die Zahnung sein.“ Ein Teil der Frauen nickt wissend. Eine hat ihr Notizbuch aus der Tasche geholt und hält die wichtigsten Tipps darin fest. Fliesen verlegen gehört zu den Kursen, die in der Gunst der Besucherinnen besonders hoch angesiedelt sind. „Ich habe einfach keine Lust zu warten, bis ich endlich einen Termin beim Handwerker bekomme“, begründet Ina Kayser den abendlichen Abstecher nach Untertürkheim. Als es endlich ans Fliesenkleben geht, sind die Frauen kaum zu bremsen. Eine trägt mit der Kelle den Kleber auf, eine andere setzt Fliese an Fliese. Einige Anwesende sind Wiederholungstäterinnen, die bereits in der Vergangenheit die „Women‘s Night“ besucht haben. Man kennt sich, scherzt und füllt die Plastikteller mit Chips und Keksen auf. Es wird angestoßen, geredet und getratscht. Da sind beispielsweise Studentin Jule Weegen und ihre Freundin Caroline Reutter. Beide haben keine Lust mehr, immer auf die Hilfe ihres Vaters oder Freundes angewiesen zu sein. „Sie machen es halt, zeigen aber nicht, wie es geht - und wehe man stellt Fragen“, klagt Reutter. Zu wissen, wie man vorgeht, sei zumindest schon ein Anfang. „Ob man es dann aber in die Tat umsetzt, ist doch etwas anderes.“ Jule Weegen lacht. Für sie darf an diesem Abend auch der Spaß nicht zu kurz kommen. „Ein richtig tolles Feierabend-Event“, ist die 25-Jährige überzeugt.

Dass immer mehr Baumärkte der weiblichen Kundschaft kostenlose Nachhilfe in Sachen Heimwerken geben, geschieht natürlich nicht ganz uneigennützig. Längst sind die Regale mit Senkschrauben und Zementsäcken keine reine Männerdomäne mehr, in die sich Frauen nur zufällig verirren. Im Gegenteil. Das vermeintlich schwache Geschlecht gilt als wichtige Klientel. „Sie sind vielleicht etwas vorsichtiger und fragen lieber nach, bevor sie zum Werkzeug greifen“, sagt Bauhaus-Mitarbeiter David Bartz. Sonst sei kein großer Unterschied zwischen den Geschlechtern zu konstatieren. An diesem Abend zeigt Bartz, wie man Parkett beziehungsweise Laminat verlegt. Oberstes Gebot dabei: Die Teilnehmerinnen legen selbst Hand an. Mit ihren Fragen halten sie dabei nicht hinterm Berg. „In welche Richtung verlege ich das Parkett“, will eine ältere Frau wissen.

Vom Mann abkommandiert

Carolin Clauß aus Mettingen gehört zu jenen Frauen, die in ihrer Freizeit gern Akkuschrauber und Bohrmaschine in die Hand nehmen. Und die auch schweißtreibende Herausforderungen nicht scheuen: Das Haus, das sie umbauen wollen, sei etwa 120 Jahre alt, sagt sie. Ein Bad müsse eingebaut, Räume gefliest werden. Die Schwierigkeit dabei: „Es gibt keine gerade Wand geschweige denn ebene Böden.“ Dass sie den Abend im Baumarkt verbringt, verdankt sie ihrem Mann. Der habe die Veranstaltung in der Zeitung entdeckt, ihr unter die Nase gehalten und gesagt: „Da gehst Du hin.“ Eines haben alle Teilnehmerinnen an diesem Tag gelernt: Es geht auch ohne Männer - manchmal zumindest.