Entschärfte Bomben werden auf dem Gelände des Kampfmittelbeseitigungsdienstes zersägt und schließlich vernichtet. Foto: KMBD Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Obwohl der Zweite Weltkrieg schon mehr als 70 Jahre zurückliegt, wird noch immer in Baden-Württemberg Munition gefunden. Fast täglich müssen die Mitarbeiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes (KMBD) von ihrer Zentrale, die abgeschieden in einem Waldgebiet zwischen Vaihingen und Sindelfingen liegt, landesweit ausrücken. Allein im vergangenen Jahr wurden 886 Munitionsfunde gemeldet. Darunter befanden sich auch 19 Bomben (2015: 25) mit einem Mindestgewicht von 50 Kilo.

Kampfmittel aus dem Zweiten Weltkrieg, seien es Granaten, Patronen, Minen oder Bomben, die über den Industriezentren Baden-Württembergs wie Stuttgart abgeworfen wurden, aber nicht detoniert sind, stellen bis heute eine erhebliche Gefährdung für die Bevölkerung dar. 2016 wurden in Baden-Württemberg mehr als 102 Tonnen Kampfmittel geborgen und beseitigt, seit Kriegsende rund 24.500 Fliegerbomben entschärft und vernichtet.

Wann immer solche Sprengstofffunde gemeldet werden, kommen die Spezialisten des KMBD zum Einsatz. Neben den besonders gefährlichen Sprengbomben werden insbesondere im Raum Stuttgart vielfach Phosphorbrandbomben und die Flammstrahlbomben geborgen. Die Auffindesituationen ähneln sich häufig: Meist wird bei Baumaßnahmen der Bombenkopf als erstes gesichtet. Je nach Bodenbeschaffenheit sind die nicht detonierten Sprengkörper zunächst bis zu fünf Meter in den Boden gesunken, durch die zunehmende Bodenverdichtung treiben sie jedoch langsam wieder in Richtung Oberfläche zurück.

Das Problem: Die Blindgänger werden mit all den Jahren nicht ungefährlicher. Im Gegenteil. Sie rosten, schon geringere Erschütterungen können sie zur Detonation bringen. Vor allem in Wohnvierteln ist das Entschärfen eine heikle Aufgabe. Im November 2014 wurde beispielsweise mitten in Feuerbach ein 250 Kilogramm schwerer Koloss entdeckt, das Areal im Umkreis von 250 Metern abgesperrt. Erst als 4000 Menschen, die dort arbeiteten oder wohnten, evakuiert waren, machten sich die Experten ans Werk. Innerhalb von acht Minuten entfernten sie den Zünder - mit ruhiger Hand. Eine gefährliche Aufgabe, „von Angst kann dennoch keine Rede sein, wenn wir ausrücken“, beschreibt Truppführer Matthias Peterle die Gefühlslage vor einem Einsatz. „Ich würde es eher als eine Art Vorspannung bezeichnen, vor dem, was auf uns zukommt.“

Obwohl im vergangenen Jahr mit 93,8 Tonnen rund zweieinhalb Tonnen weniger Munition vernichtet wurden als 2015 glaubt Peterle nicht, dass ihm und seinem Team bald die Arbeit ausgeht. Eine Prognose sei schwer zu treffen. Der Experte geht aber davon aus, dass der KMBD noch etliche Jahrzehnte mit den Altlasten des Krieges beschäftigt sein wird. Eine wichtige Aufgabe spielt dabei die Luftbildauswertung. Ein Weg, um Bomben auch nach 70 Jahren zu orten. Mehr als 110.000 alte Fotos wurden dazu gesammelt, digitalisiert und anschließend über neue Aufnahmen gelegt. Der Vergleich lässt Rückschlüsse zu: Blindgänger hinterlassen nur einen Krater von einem oder zwei Metern. Bomben, die explodiert sind, einen Trichter von 15 Metern. Im vergangenen Jahr gingen insgesamt 2080 Anträge zur Luftbildauswertung von Bauherren, Baufirmen, Ingenieurbüros und Kommunen beim Kampfmittelbeseitigungsdienst ein - 142 mehr als 2015. Darüber hinaus wurde 2016 eine Fläche von 194.000 Quadratmetern durch den KMBD auf eine Belastung mit Kampfmitteln abgesucht, um eine Bebauung der Flächen möglich zu machen. Dies entspricht einer Größe von rund 27 Fußballfeldern.

Am Sitz des KMBD wurden zudem im vergangenen Jahr 16.600 Waffen vernichtet - 400 mehr als im Vorjahr. Ein Großteil davon wurde freiwillig von Bürgern bei der Polizei- oder Waffenbehörden abgegeben. Seit dem Amoklauf von Winnenden am 11. März 2009 wird von der freiwilligen Waffenabgabe vermehrt Gebrauch gemacht.

Die Geschichte des KMBD

1946 wurden erstmals Sprengkommandos eingesetzt, die mit Fachleuten besetzt waren und so eine fachgerechte Beseitigung der Munition gewährleistete. Hieraus entstand der KMBD. Zum 1. Mai 1971 wurde die Zuständigkeit auf das Regierungspräsidium Stuttgart übertragen. Das dortige Referat 16 ist zuständig für alle vier Regierungsbezirke in Baden-Württemberg. Zurzeit sind 33 Mitarbeiter beim KMBD beschäftigt - darunter neun Feuerwerker, vier Munitionsvorarbeiter, zehn Munitionsfacharbeiter und sechs Luftbildauswerter. Bis zu neun Teams werden jeden Tag losgeschickt, um Blindgänger und Munition des Zweiten Weltkrieges zu bergen. Seit August 2016 ist die erste Frau im Außendienst als Truppführerin im Einsatz. Die Leitung des KMBD hat derzeit Ralf Vendel inne.