Dicke Luft im Stuttgarter Talkessel. Seit einer Woche gilt Feinstaubalarm, dennoch sind die Schadstoffwerte höher denn je. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Elke Hauptmann

Stuttgart - Die Feinstaubbelastung in Stuttgart ist so hoch wie lange nicht. Seit Tagen wird der Grenzwert deutlich überschritten. Zwei Anwohner haben davon genug: Sie stellten jetzt Strafanzeige gegen Oberbürgermeister Fritz Kuhn und Regierungspräsident Wolfgang Reimers wegen Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung.

Kuhn und Reimer würden in ihren Funktionen nicht alles in ihrer Macht stehende tun, um die seit 2011 geltende EU-Richtlinie über saubere Luft umzusetzen und damit die Gesundheit der Stuttgarter zu schützen, begründen Peter Erben und Susanne Jallow ihre Anzeige, die sie gestern Mittag bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart einreichten. Die Behörde soll, so die Bitte der beiden Umweltschützer, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Körperverletzung mit Todesfolge und wegen des Verdachts auf unterlassene Hilfeleistung einleiten.

Kuhn und Reimers hätten „die gesetzliche Pflicht, die Bevölkerung von Stuttgart vor den Gefahren der Luftverschmutzung zu schützen“ und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Zeitraum der Grenzwertüberschreitung so kurz wie möglich zu halten, argumentieren sie. Dem Oberbürgermeister sei seit Jahren bewusst, was zu tun sei, meint Erben. „Aber er tut nichts, obwohl es hier um die Gesundheit der Bürger geht.“ Dass Feinstaub und Stickoxide die Gesundheit belasteten, sei unstrittig. Die unterlassene Hilfeleistung sei für ihn „klar ersichtlich“.

Mit Fahrverboten könnte die Atemluft der Stuttgarter sofort verbessert werden, ist Erben überzeugt. Der seit einem Jahr praktizierte Feinstaubalarm tauge dafür nicht. „Die aktuellen Werte zeigen doch, dass wir uns in der Sackgasse befinden.“ Der 57 Jahre alte Metallbaumeister lebt seit zwölf Jahren in einer Nebenstraße am Neckartor. Der raue Hals gehöre an solchen Tagen zu seinem Alltag. Der Verwaltungsangestellten Jallow geht es ähnlich, seit 18 Jahren atmet die 54-Jährige die Schadstoffe an der B 14 ein. Für Erben liegt die Lösung auf der Hand: „Ganz klar: Der Autoverkehr muss verringert werden.“

Kuhn selbst sieht die Anzeige gelassen: „Es wurde von Stadt und Land noch nie so viel für saubere Luft und gegen Feinstaub und Stickoxide getan wie in den vergangenen Jahren.“ Der OB wird nicht müde zu betonen: Er halte eine Lösung auf freiwilliger Basis „immer für besser, als mit Vorschriften verkehrslenkende Maßnahmen durchzusetzen“. Gleichwohl räumte er vor wenigen Tagen ein: „Wenn wir unser Ziel nicht erreichen, führt kein Weg daran vorbei.“

OB sieht Erfolge

Kuhn sieht durchaus Erfolge im Kampf gegen die Feinstaubbelastung: Im vergangenen Jahr wurde der Grenzwert am Neckartor zwar an 63 Tagen überschritten - zulässig sind nur 35 Tage. Aber an 14 Tagen habe der Feinstaubwert zwischen 51 und 55 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, also nur knapp über dem Grenzwert von 50 gelegen. Der Jahresmittelwert für Feinstaub sei 2016 am Neckartor unter dem Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft geblieben - er lag bei 38 Mikrogramm. Gleiches gelte auch für alle anderen Messstationen in der Stadt.

Das Jahr 2017 indes hat wenig erfreulich begonnen. In der Landeshauptstadt gab es bis einschließlich gestern schon 13 Überschreitungstage. Der Grenzwert wurde dabei deutlich gerissen: Die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) hat am Neckartor seit vergangenen Donnerstag täglich mehr als 100 Mikrogramm Feinstaub gemessen, am Samstag und Sonntag wurden jeweils Spitzenwerte von 134 Mikrogramm registriert.

Die Werte erklären sich laut Ulrich Reuter vom Amt für Umweltschutz durch die extrem austauscharme Wetterlage: „Das Wetter ist stabil, es wird, salopp gesagt, im Moment nicht durchgelüftet. Der vorhandene Feinstaub wird weder durch Wind noch durch Regen abgetragen, es sammelt sich immer mehr an. Durch die große Kälte wird natürlich auch mehr geheizt.“ So schnell wird sich die Wetterlage Meteorologen zufolge auch nicht ändern - der Feinstaubalarm dauert deshalb weiter an.

Umweltbürgermeister Peter Pätzold räumt ein: „Hauptverursacher ist und bleibt der Autoverkehr. 45 Prozent der Belastung am Neckartor stammen aus dieser Quelle.“ Belastet seien im Wesentlichen die Hauptverkehrsachsen: Von den insgesamt 1400 Kilometer Straßen hätten 65 Kilometer eine erhöhte Belastung mit Stickoxiden, knapp drei Kilometer mit Feinstaub. Der Lösungsansatz der Stadt: „Wir stärken die Alternativen zum Auto“, erklärt Pätzold. So würde Stuttgart im Haushalt 2016/2017 über elf Millionen Euro in nachhaltige Mobilität investieren.

Erfolg auf freiwilliger Basis

Er verstehe die Ungeduld mancher Bürger und Umweltverbände, räumt Pätzold ein. „In der Gesamtschau sind wir besser geworden, aber wir arbeiten unbeirrt weiter an der Einhaltung der Grenzwerte. Das ist unsere Verantwortung für die Anwohner der Straßen, dieser wollen wir gerecht werden.“ Stadt und Land würden alles tun, was rechtlich möglich und politisch nötig sei, versichert der Umweltbürgermeister. Er sagt aber auch klar: „Wir wollen einen Erfolg unserer Anstrengungen auf freiwilliger Basis, deshalb setzen wir weiter auf den Feinstaubalarm und all unsere flankierenden Maßnahmen.“

Winzige Partikel mit gefährlichen Folgen

Was ist Feinstaub?

Als Feinstaub werden winzige Partikel bezeichnet, die eine gewisse Zeit in der Luft schweben. Ursprung der Schadstoff-Teilchen können etwa Dieselruß, Reifenabrieb oder Abgase von Industrie-, Kraftwerks- oder Heizungsanlagen sein.

Woher stammt Feinstaub?

Nach neuen Zahlen der Landesanstalt LUBW stammen 51 Prozent des Feinstaubs am Stuttgarter Neckartor aus dem Straßenverkehr. Dabei geht es vor allem um Abrieb der Räder und Bremsen, der aufgewirbelt wird. Ein Teil stammt direkt aus den Abgasen der Fahrzeuge. Mit 16 Prozent wird ein vergleichsweise großer Teil des Neckartor-Feinstaubs kleinen und mittleren Feuerungsanlagen zugeschrieben, darunter jene Komfortkamine, die allein der Gemütlichkeit dienen, und deren Nutzung an Tagen mit Feinstaubalarm verboten werden soll.

Warum ist Feinstaub gefährlich? Je nach Größe und Eindringtiefe der Teilchen sind die gesundheitlichen Wirkungen von Feinstaub verschieden. Sie reichen von Schleimhautreizungen und lokalen Entzündungen in der Luftröhre und den Bronchien oder den Lungenalveolen bis zu verstärkter Plaquebildung in den Blutgefäßen, einer erhöhten Thromboseneigung oder Veränderungen der Regulierungsfunktion des vegetativen Nervensystems (Herzfrequenzvariabilität).