Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - In den vergangenen Jahren ist die Luftverschmutzung in der Landeshauptstadt deutlich zurückgegangen. Und dennoch reichen die getroffenen Maßnahmen bislang nicht aus. Noch immer drohen in Stuttgart Fahrverbote. Oberbürgermeister Fritz Kuhn hofft, dass es nicht soweit kommt und die zweite Stufe des Feinstaubalarms greift. „Die Anzahl der Tage, an denen wir bislang die Grenzwerte nur knapp überschritten haben, war sehr hoch“, sagte er gestern im Umwelt- und Technikausschuss.

In einem gerichtlichen Vergleich hat sich das Land im vergangenen Mai verpflichtet, ab dem 1. Januar 2018 am Neckartor verkehrsbeschränkende Maßnahmen zu ergreifen, sollten die Immissionsgrenzwerte dort im kommenden Jahr weiterhin überschritten werden. Um rund 20 Prozent müsste dann das Verkehrsaufkommen reduziert werden. Ein Szenario, das die Rathausspitze mit dem „Feinstaubalarm Plus“ - Start der Saison ist ab dem 15. Oktober - unbedingt verhindern will. Die wichtigste Neuerung ist wohl die Preisreduzierung des VVS-Einzeltickets. Um Autofahrern den Umstieg auf Bus und Bahn schmackhaft zu machen, dürfen Erwachsene in Alarm-Zeiten zum Kinderpreis fahren. „Ich wäre froh, wenn wir es ohne Verbote schaffen“, so das Stadtoberhaupt. Egal ob eine City-Maut, die Fahrerlaubnis nur mit geraden oder ungeraden Kennzeichen oder die Begrenzung auf Fahrgemeinschaften - jede Regelung sei rechtlich schwierig umzusetzen und bringe Probleme mit sich. Kuhn appelliert an die Wirtschaft, die Unternehmen, den Handel und die Bürger an einem Strang zu ziehen. „Wir müssen uns sehr anstrengen, um unser Ziel zu erreichen.“

Kritik äußerte er an der Automobilindustrie. Sie müsse - mit Blick auf die jüngsten Abgasskandale - ehrlicher arbeiten und das Thema E-Mobilität schneller vorantreiben. „Generell kann es nicht sein, dass sich der Bund zusammen mit der Automobil-Lobby einen schlanken Fuß macht und die Verantwortung beim Thema Luftreinhaltung an die Kommunen schiebt.“

Feinstaub und Stickoxide seien kein reines Problem der Landeshauptstadt. Der Vergleich zu vielen anderen europäischen Metropolen zeige, dass die Lebensqualität zunimmt, wenn der Autoverkehr reduziert und der öffentliche Nahverkehr, der Fahrrad- und Fußgängerverkehr ausgebaut werden. „Jedoch haben wir im Vergleich zu Städten wie Hamburg oder München, die punktuell ebenso Probleme mit der Luft haben, die zusätzliche Herausforderung, dass es durch die Kessellage häufig zu austauscharmen Wetterlagen kommt, die die Ansammlung von Schadstoffen begünstigen.“ Es bestehe deshalb nach wie vor „großer Handlungsbedarf“, so der OB. „Mein Ziel ist, dass wir 20 Prozent weniger konventionell betriebenen Autoverkehr in der Stadt haben. Nur so können wir uns von der autogerechten zur umweltgerechten Stadt wandeln.“ Auf diesem Weg hat der OB einen weiteren Knackpunkt ausgemacht: „Wie weit wir insgesamt kommen, hängt von der Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der S-Bahnen ab.“ Die Technik müsse verbessert werden.

Auch für den SPD-Fraktionsvorsitzenden Martin Körner sind die „völlig überlasteten S-Bahnen“ eines der Hauptprobleme. Er findet es daher gut, dass der Schwerpunkt auf den öffentlichen Nahverkehr gelegt wird. Er spricht sich jedoch insgesamt für günstigere Ticketpreise aus. „Die Fahrt mit Bus und Bahn muss bezahlbar bleiben.“ Zugleich glaubt er nicht an den Erfolg des Feinstaubalarms. Die erste Stufe nannte er gestern einen „Rohrkrepierer“. Der Alarm wirke nicht. Auch an der Plus-Variante habe er Zweifel: „Die Grenzwerte werden auch weiterhin überschritten werden.“

Wie auch der OB hofft der CDU-Chef Alexander Kotz auf ein Umdenken in der Bevölkerung. „Wir unterstützen den freiwilligen Feinstaubalarm. Ein Appell ist immer die bessere Herangehensweise. Wenn wir aber freiwillig etwas erreichen wollen, müssen wir den Autofahrern klar aufzeigen, welche Alternativen drohen, wenn wir es nicht schaffen.“ Gerade für Handwerker habe ein Fahrverbot eine große Bedeutung. „Wir müssen uns über den Plan B rechtzeitig Gedanken machen, der 1. Januar 2018 ist schnell erreicht. Betriebe können nicht innerhalb von zwei Monaten ihre Flotte austauschen.“ Zur Planungssicherheit müsse man die Rahmenbedingungen für Fahrverbote festlegen. Christoph Ozasek von den Linken ist überzeugt, dass sie nicht zu vermeiden sind. „Leider ist es ein erschreckendes Zeichen, dass nicht die Politik die Gesundheit der Bürger schützt, sondern es die Gerichte machen müssen.“ Zugleich verwies er darauf, dass nicht die jährlichen Zuwächse von drei Prozent im ÖPNV entscheidend seien, sondern die steigenden Zulassungszahlen von Autos in Stuttgart. „Sie gehen schier durch die Decke. Außerdem haben wir mehr Alleinfahrer denn je.“

Mehr Stadt- und S-Bahnen

Unabhängig von einem möglichen Feinstaubalarm werden im ÖPNV die Kapazitäten erhöht. Ab 17. Oktober wird die neue Stadtbahnlinie U 19 werktags zwischen 6 und 20 Uhr im 10-Minuten-Takt zwischen Neugereut und Neckarpark fahren und somit die stark genutzte U 2 entlasten. Außerdem wird der Takt der U 13 zwischen Giebel und Hedelfingen nun auch in der abendlichen Hauptverkehrszeit von 10 auf 7,5 Minuten verkürzt. Des Weiteren wird die S-Bahn von Montag bis Freitag sowie an ausgewählten Wochenenden auf den Linien S 1, S 2, S 3 und S 5 bei bestimmten Zügen die Platzkapazitäten erhöhen.