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Stuttgart (red) - Wer hierher kommt, hat keinen Hauptschulabschluss und ist eigentlich schon aus dem Alter heraus, ihn noch zu machen: Im Haus der Lebenschance bekommen junge Schulabbrecher zwischen 17 und 27 Jahren die Chance, diesen Abschluss innerhalb eines Jahres doch noch zu machen.

Und das ganz freiwillig. Sie müssen sich sogar bewerben und ihr ernsthaftes Interesse glaubhaft machen. Wenn sie das können, bekommen sie einen Platz in dem Haus. Damit haben sie eine gute Chance, im Leben Fuß zu fassen, nachdem bisher viel schief gelaufen ist. Um die Arbeit einem breiteren Kreis vorzustellen, haben die Träger, die Mitarbeitenden und (ehemalige) Schülerinnen und Schüler jetzt zu einem Tag der offenen Tür eingeladen.

Sabrina (Name geändert) hat ab ihrem 14. Lebensjahr in verschiedenen Mädchenwohngruppen gelebt. Zwischen ihr und ihrer Mutter hatte es vorher oft Ärger und heftige Auseinandersetzungen gegeben, sie hat die Schule geschwänzt und ihren Hauptschulabschluss nicht geschafft. Mit 23 Jahre ist sie ins Haus der Lebenschance gekommen, um mit einem Schulabschluss ihre Chance auf eine Ausbildung in der Altenpflege zu verbessern.

Im Haus der Lebenschance, das die Evangelische Gesellschaft (eva) und die Baden-Württembergische Kommende des Johanniterordens gemeinsam betreiben, wird der Unterricht so flexibel gestaltet, dass jeder Teilnehmende sein individuelles Lerntempo entwickeln kann. Jede und jeder kann dort die erforderliche Zeit investieren, wo dies nach den eigenen Voraussetzungen besonders sinnvoll und notwendig ist. Unterrichtet und gefördert werden die jungen Menschen von engagierten Honorarkräften sowie zwei hauptamtlichen sozialen Fachkräften.

Neben dem Schulabschluss lernen die jungen Frauen und Männer hier auch soziale Kompetenzen wie Pünktlichkeit, Teamfähigkeit oder Selbstständigkeit. Und sie werden dabei unterstützt, nach ihrem Abschluss einen geeigneten Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden. Nach Kenntnis der Initiatoren ist das Haus immer noch eines von ganz wenigen solcher Schulprojekte in Deutschland.

In den meisten Fällen ist das Jahr, in dem die Teilnehmenden hier auf den Hauptschulabschluss lernen, gespickt mit Höhen und Tiefen. Die unsicheren Lebensumstände der Schülerinnen und Schüler führen immer wieder dazu, dass sie sich nicht das ganze Jahr ausschließlich auf das große Ziel konzentrieren können, den Schulabschluss. Bei Sabrina kam die Krise zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt: knapp einen Monat vor den Prüfungen wurde ihre Mutter schwer krank. Die junge Frau wollte bei der Kranken sein, sie kam so gut wie nicht mehr in den Unterricht.

Erst drei Tage vor der ersten Prüfung kam Sabrina wieder ins Haus der Lebenschance, sie wollte unbedingt daran teilnehmen. Das Ergebnis war für sie erst einmal zweitrangig, sie wollte endlich einmal bis zum Ende dranbleiben. Sabrina hat ihren Schulabschluss bestanden, wie neben ihr in den vergangenen fünf Jahren 32 weitere junge Frauen und Männer. Dass sie ihren Hauptschulabschluss geschafft haben, hat bei ihnen zu einem Gefühl beigetragen, das für sie vorher ungewohnt war: stolz auf sich zu sein.