Im ersten Halbjahr 2016 haben die Chinesen in Deutschland und in Europa jeweils so viele Akquisitionen getätigt wie im gesamten Jahr 2014. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Das Ziel der Chinesen: von der Massenproduktion hin zur Spezialisierung und Hochtechnologie. „Die Meldungen von Übernahmen deutscher Unternehmen durch chinesische sind keine Überraschung.“

Von Sabrina Erben

Stuttgart - Chinesische Investoren drängen auf den europäischen Markt. Fast wöchentlich gibt es neue Übernahmen. Die Liste ist lang: Der chinesische Hausgerätehersteller Midea übernimmt die Mehrheit am Augsburger Roboterhersteller Kuka, drei chinesische Investoren kaufen das Lampengeschäft des Münchner Unternehmens Osram. Vom Lackieranlagenspezialisten Dürr aus Bietigheim-Bissingen übernehmen Chinesen die Reinigungssparte. Und der chinesische Mischkonzern Schanghai Electric Group (SEC) übernimmt den niedersächsischen Luft- und Raumfahrtzulieferer Broetje-Automation. SEC kaufte erst vor wenigen Monaten Anteile des Reutlinger Maschinenbauers Manz. Und das sind nur einige Beispiele.

„Die Chinesen sind auf Einkaufstour“, sagt Wolfgang Wolf, Geschäftsführer des Landesverbands der baden-württembergischen Industrie (LVI). Unternehmen in Deutschland, Frankreich und England stehen auf der Einkaufsliste ganz oben. „Deutsche Technologie wird geschätzt“, sagt Wolf. Und die Chinesen haben Geld. „Sie sitzen auf hohen Währungsreserven und möchten sich weltweit aufstellen.“ Das Engagement hat Gründe: „Die Chinesen haben eine gute maschinelle Ausstattung in den Fabriken, sind sehr wissbegierig und fleißig“, sagt Wolf. Allerdings fehle es im Reich der Mitte an Innovationskraft. Die muss woanders geholt werden. Das Ziel: von der Massenproduktion hin zur Spezialisierung und Hochtechnologie. Wertschöpfungsketten und Vertriebskanäle sollen erweitert werden. Das Land will seine Industrielandschaft modernisieren.

Der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungskonzern EY mit Hauptsitz in Stuttgart untersucht die chinesischen Investitionsziele. Im ersten Halbjahr 2016 haben die Chinesen in Deutschland und in Europa jeweils so viele Akquisitionen getätigt wie im gesamten Jahr 2014. In Europa kauften oder beteiligten sie sich an 164 Unternehmen, in Deutschland waren es 37. Damit ist Deutschland in Europa das bevorzugte Investitionsziel. Hier stiegen die Investitionen von 526 Millionen US-Dollar im Gesamtjahr 2015 auf 10,8 Milliarden US-Dollar in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. „In Europa beziehungsweise Deutschland wollen sich derzeit viele Private-Equity-Gesellschaften von Beteiligungen trennen und stoßen bei chinesischen Investoren auf Interesse. Die suchen verstärkt nach Übernahmezielen in anderen Ländern, da das Wachstum auf dem Heimatmarkt nachlässt“, sagt Alexander Kron, Partner bei EY.

Besonders im Fokus stehen für die Investoren aus Fernost dem Beratungskonzern zufolge Industrieunternehmen. 17 der 37 Akquisitionen waren Industrieunternehmen, von den 164 in Europa getätigten Zukäufen stammen 45 Firmen aus der Industrie. „Das starke Interesse der Chinesen an Industrieunternehmen kommt vor allem Deutschland zugute. Anders als in anderen Ländern kam es hier nie zur Deindustrialisierung. Die deutsche Industrie ist heute stark und attraktiv wie nirgendwo sonst in Europa“, sagt Kron.

Die Übernahmen sind für viele ein Schreckgespenst. Man fürchtet, dass das Wissen deutscher Schlüsselindustrien nach China abwandert. Vor allem nach Bekanntgabe der Pläne beim Augsburger Vorzeigeunternehmen Kuka war die Aufregung groß. Fakt ist: Es fand sich kein europäischer Investor, der eine ähnlich hohe Summe bot wie die Chinesen. Heraus kam ein umfassender Investorenvertrag und die Empfehlung an die Aktionäre, das Angebot der Chinesen anzunehmen. „China ist entscheidend, weil es bereits heute der größte Robotermarkt ist. Wir machen dort genauso vertrauensvoll Geschäfte wie in anderen Ländern. Momentan beträgt unser Umsatz dort 450 Millionen Euro, in den kommenden Jahren wollen wir die Grenze von einer Milliarde knacken. Unser Ziel ist es, in China die Nummer eins zu werden“, sagte Kuka-Chef Till Reuter vor Kurzem in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

LVI-Geschäftsführer Wolf hält die Ängste ebenfalls für unbegründet. „Das ist keine Einbahnstraße, es sind strategisch langfristige Pläne der Chinesen, von denen beide Vertragspartner profitieren können.“ Ein Beispiel dafür sei Putzmeister aus Aichtal. Der Betonpumpenmeister wurde 2012 für 320 Millionen Euro vom chinesischen Konkurrenten Sany übernommen. Wie auch bei Kuka waren die Bedenken damals groß. „Bei Putzmeister wurden wie bei Kuka Beschäftigungsgarantien für die Mitarbeiter vereinbart.“ Auch für die 200 Mitarbeiter des Lackieranlagenspezialisten Dürr in Filderstadt gibt es eine solche Garantie bis 2019. Dürr veräußert seine Reinigungssparte Ecoclean an die chinesische Blue Silver Group, die 85 Prozent der Anteile zum Jahresende übernehmen will.

Auch der Maschinenbauer Manz verspricht sich viel vom chinesischen Einstieg. „2015 war das schwierigste Geschäftsjahr unserer Unternehmensgeschichte“, sagte Firmenchef Dieter Manz während der diesjährigen Hauptversammlung. Der Einstieg der Chinesen soll die angeschlagene Firma aus Reutlingen wieder in die Spur bringen. Im Zuge einer Kapitalerhöhung besitzt die deutsche Tochter der Schanghai Electric Group nun einen Anteil von 20 Prozent an Manz. Das Unternehmen stellt unter anderem Maschinen für die Solar- und Batterieindustrie her. Mit den Chinesen will Manz auf den Gebieten Energiespeichersysteme sowie Automationstechnologie zusammenarbeiten. Anders als bei Kuka bleibt Manz eigenständig.

„Man sollte dennoch genau beobachten, was passiert“, betont LVI-Geschäftsführer Wolf. „Wir müssen hier in Deutschland und insbesondere im wirtschaftsstarken Südwesten immer eine Nasenlänge voraus sein und dürfen den Technologievorsprung nicht verlieren.“ Das sieht auch der Geschäftsführer des Automatisierungsspezialisten Pilz aus Ostfildern so. Das Unternehmen hat in der chinesischen Provinz Jintan 2015 eine Fertigungsstätte eröffnet: „Für uns und jeden, der den Fünf-Jahresplan der chinesischen Regierung gelesen hat, sind die Meldungen von Übernahmen deutscher Unternehmen durch chinesische Unternehmen keine Überraschung. Die chinesische Regierung hat erkannt, dass man durch den Kauf eines Unternehmens nicht nur technisches Know-how erwirbt, sondern auch den Marktzugang“, sagt Thomas Pilz. Also wird die Konkurrenz größer? „Selbstverständlich“, sagt der Pilz-Geschäftsführer. „Wir investieren weiter in den Ausbau unserer Vertriebs- und Produktionsinfrastruktur, um auch weiterhin vor Ort unsere Vorreiter-Rolle in der Technik einnehmen zu können.“

Für den LVI-Geschäftsführer sind vor allem die künftigen Spielregeln wichtig. „Inwiefern schaffen es die Unternehmen nach der Übernahme, die Kompetenz in Deutschland zu lassen? Halten sich die Chinesen an die WTO-Regeln?“ Außerdem müsse auch in China noch mehr passieren. „Ein Großteil der Investitionen sind mit staatlichen billigen Krediten finanziert“, sagt Wolf. Das sei Geld, dass im Inland fehle. Wichtig sei vor allem, dass die Chinesen nicht nur einkaufen, sondern auch die eigenen Strukturreformen vorantreiben.

Übernahmen von chinesischen Firmen

Manz: Die Schanghai Electric Group steigt mit Anteilen von

20 Prozent bei dem angeschlagenen Maschinenbauer aus Reutlingen ein.

EEW Energie: Die Holding Beijing Enterprises gibt Anfang Februar bekannt, den Müllverbrennungsspezialisten EEW Energy from Waste aus Helmstedt für 1,44 Milliarden Euro zu übernehmen.

Kraussmaffei: Der Spezialmaschinenbauer wird von ChemChina, Chinas größtem Chemiekonzern, für 925 Millionen Euro gekauft. ChemChina kam erneut in die Schlagzeilen - mit einem 43-Milliarden-Dollar-Angebot für den Agrarchemie-Anbieter Syngenta.

Hilite: Avic übernimmt 2014 für 473 Millionen Euro den deutschen Autozulieferer.

Tailored Blanks: Der Industriegüterkonzern Thyssenkrupp schließt 2013 den Verkauf seiner Tochter an den Stahlkonzern Wuhan Iron and Steel ab. Zum Preis machten beide Seiten keine Angaben.

Kion: 2012 steigt der Nutzfahrzeugproduzent Weichai Power beim Gabelstaplerhersteller Kion ein. Die Chinesen kaufen zunächst für 467 Millionen Euro 25 Prozent an Kion und steigern 2015 ihren Anteil auf 38,25 Prozent.

Putzmeister: Der Baumaschinenhersteller Sany übernimmt 2012 den Betonpumpenhersteller mit Sitz in Aichtal für gut 320 Millionen Euro.

Kiekert: Der Weltmarktführer für Pkw-Schließsysteme geht 2012 in die Hände des börsennotierten Automobilzulieferers Lingyun.