Stockender Verkehr vor und in dem Heslacher Tunnel sind für das System von Tesla kein Problem. Foto: Steegmüller Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Das Fahrziel eingeben, die Zeitung aufschlagen und sich genüsslich im Sitz zurücklehnen. Hände weg vom Steuer und 30 Minuten später entspannt am Arbeitsplatz ankommen - ohne auf den Verkehr achten zu müssen. Nebenbei noch schnell die Mails checken, den Terminkalender durchgehen oder mit Freunden chatten. Staus und Verkehrsbehinderungen sind nur noch Nebensache. Der Traum vom autonomen Fahren rückt näher, so weit ist die Technik dann aber doch noch nicht.

Für eine Studie der Dualen Hochschule Baden-Württemberg habe ich am Steuer eines selbstfahrenden Autos Platz genommen. Für eine einstündige Runde durch die Landeshauptstadt. Vom Rotebühlplatz aus geht es durch den Westen zum Schloss Solitude und anschließend über den Schattenring zurück in die Innenstadt. Immer wieder muss ich auf der Testfahrt durch die Landeshauptstadt eingreifen. Beim Abfahren von der B 14 beispielsweise. Trotz gesetztem Blinker will der Wagen geradeaus weiterfahren. Kein Problem hat das selbstfahrende Auto indes auf der Schnellstraße selbst und im stockenden Verkehr. Sowohl vor als auch im Heslacher Tunnel hält es den Abstand ein und bleibt mühelos in der Spur. Ab und an steigt mein elektronischer Chauffeur mir zu sehr in die Eisen, insgesamt überlasse ich ihm aber gerne die Kontrolle. Für mich hat das autonome Fahren durchaus seinen Reiz.

Genau diesen Reiz untersucht derzeit die Duale Hochschule Baden-Württemberg in der Landeshauptstadt. Genauer gesagt, geht das Zentrum für empirische Forschung der Frage nach, welche Chancen und Risiken sich in der Großstadt ergeben - aus Konsumentensicht. Mit drei Fahrzeugen, zwei Mercedes E-Klassen und einem Tesla S, sind daher derzeit rund 150 Testfahrer aus verschiedenen Altersschichten in Stuttgart unterwegs. Dabei steht in erster Linie nicht die Technik auf dem Prüfstand. „Wir wollen herausfinden, wie die Probanden die selbstfahrenden Autos und die verschiedenen Systeme erleben“, sagt Professor Marc Kuhn. Dazu müssen sie vor und nach der Fahrt jeweils einen Online-Fragebogen ausfüllen, außerdem werden ihre Aussagen während der Fahrt aufgezeichnet. Das Projekt, das noch in Spanien, Frankreich und Großbritannien durchgeführt wird, sei in der Forschungslandschaft einzigartig, da autonome Fahrfunktionen erstmals in Serienfahrzeugen und auf öffentlichen Straßen untersucht werden. „Dadurch hat es nicht nur eine hohe wissenschaftliche, sondern auch eine hohe anwendungsbezogene Bedeutung.“

Noch liegen keine Ergebnisse vor, sie werden erst im kommenden Juni öffentlich vorgestellt. „Schon jetzt ist jedoch klar, dass die Reaktionen sehr unterschiedlich ausfallen“, sagt Hannah Brugger, die mit 20 weiteren Studenten die Datenerhebung und Auswertung der Studie sowie die Testfahrten durchführt. Die Vermutung liege nahe, dass die Persönlichkeit die Herangehensweise beeinflusse. Es zeichne sich ab, dass jüngere Probanden weniger Probleme haben, sich von einem Computer fahren zu lassen. Von leichter Skepsis bis zu großem Vertrauen in die Technik sei jedoch die komplette Bandbreite vertreten. „Eine Frau stieg entnervt aus und fluchte, dass sie nie wieder in ein selbstfahrendes Auto einsteigen wird“, so Brugger.

Vermutlich würde ein extrovertierter Mensch anders mit autonomen Fahrsystemen interagieren wie ein introvertierter, ein autoaffiner Fahrer anders als eine Person, die sich nur gelegentlich und zur Not hinters Steuer setzt - doch wem nutzt solch ein Wissen? Die Ergebnisse der Studie seien unter anderem für Automobilhersteller spannend, sagt Bruggers Kommilitone Stefan Klausen. „So weiß man, wie die verschiedenen Kunden angesprochen werden können. Vom Fahranfänger bis zum Rentner.“

Noch sind selbstfahrende Autos, die komplett eigenständig auf öffentlichen Straßen von A nach B unterwegs sind, Zukunftsmusik. Wann es soweit ist, kann auch Kuhn nicht abschätzen. „Die Entwicklung ist schwer absehbar“, so der 42-Jährige. Die Sensortechnik habe sich in den vergangenen Jahren stark verbessert, ebenso sei die Rechenleistung immens gestiegen. „Große Datenmengen zu erfassen, ist kein Problem mehr.“ Viel mehr ergeben sich durch das autonome Fahren moralische und philosophische Fragen. „Es ist ein Riesenthema für Versicherungen, Soziologen und auch Politiker.“ Ein Beispiel: Ein selbstfahrendes Auto kann einen Unfall nicht mehr verhindern und hat die Wahl gegen eine Wand zu fahren oder in eine Fußgängergruppe zu rasen. Entweder stirbt der Insasse oder mehrere Passanten. „Wer entscheidet, ist eine spannende Frage“, sagt Kuhn.

Unberechenbare Fußgänger

Ein weiterer Punkt sei die Fahrerfahrung. „Gefährliche Situationen kann man antizipieren. Dass ein Fahrzeug auf der Autobahn hinter einem Lastwagen ausschert“, fügt Klausen hinzu. „Ideal wäre es, wenn alle Fahrzeuge autonom unterwegs wären, dann könnte man sie optimal koordinieren, die Abstände zwischen Autos minimieren und somit Staus verhindern.“ Eine Unbekannte bleibe jedoch: der Mensch. Was passiert, wenn ein Fußgänger plötzlich auf die Fahrbahn läuft oder sich am Zebrastreifen nur unsicher verhält? Derzeit liegt die Verantwortung daher noch beim Fahrer, der den Verkehr immer im Auge behalten muss. Google arbeitet jedoch bereits im Silicon Valley an einem Auto, das ganz ohne Lenkrad auskommt, die Insassen wie in einem Wohnzimmer sitzen. „Das wäre die höchste Stufe, ein Quantensprung“, so Kuhn.

Ich zumindest könnte auf das Steuer in der Stauhauptstadt gerne verzichten.