Die Hohenheimer Forscher Claudia Koch und Florian Kohn (vorn im Bild) bei einem ihrer Parabelfl ü g e. Dabei führen sie wissenschaftliche Versuche durch. Foto: Universität Hohenheim/Membranphysiologie Quelle: Unbekannt

Stuttgart (red) - Langsamere Reaktionen und verändertes Aufnahmevermögen von Medikamenten - in der Schwerelosigkeit funktionieren Nervenzellen nicht mehr wie gewohnt. Warum das so ist, untersuchen nun zwei Wissenschaftler der Universität Hohenheim - und schicken die Nervenzellen dafür versuchsweise ins Weltall. Im November sind sie mit ihren Experimenten auf der Internationalen Raumstation ISS vertreten. Ihre Erkenntnisse könnten eines Tages nicht nur Astronauten zugutekommen.

Das gesamte Leben auf der Erde hatsich unter ihr entwickelt: Die Schwerkraft ist ein wesentlicher Faktor für alle Stoffwechselvorgänge. Wenn sie wegfällt, ändern sich die elektrischen Eigenschaften von Nervenzellen, die Signale brauchen in Schwerelosigkeit länger - und daran sind die Zellmembranen schuld. Das haben Florian Kohn und Claudia Koch vom Fachgebiet Membranphysiologie an der Universität Hohenheim in Vorversuchen herausgefunden. „In Experimenten mit künstlichen Zellen sahen wir, dass sich Schwerelosigkeit auf die Zellmembran auswirkt, die eine Zelle umschließt“, erklärt der Biophysiker. „Denn diese Schicht verändert ihre Viskosität, wird also gewissermaßen leicht verflüssigt.“ Eine der Folgen sei, dass dadurch zum Beispiel Substanzen wie Medikamente leichter oder auch schwerer in die Zelle eingeschleust werden können, erläutert seine Kollegin. „Eine andere Frage ist, ob sich Nervenzellen in Schwerelosigkeit anders entwickeln. Von Knochen etwa ist bekannt, dass sie sich in Schwerelosigkeit mit der Zeit abbauen - doch was geschieht mit Nervenzellen?

Aufschluss soll ein Experiment im Weltraum geben: Voraussichtlich ab 1. November wird die Internationale Raumstation ISS den beiden Forschern als Labor dienen. Sechs winzige, vollautomatisch agierende Hightech-Boxen wollen sie auf die Reise schicken. Darin enthalten sind menschliche Tumorzellen, die robuster und einheitlicher sind als echte Nervenzellen und den Wissenschaftlern als Modell dienen. Sie stammen vom Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen.

„Die Zellen wachsen in den geschlossenen Mini-Brutschränken auf Kulturmedium heran. Die Nährstoffe werden ihnen automatisch zugeführt“, beschreibt Kohn das Experiment. Nach sieben Tagen gibt das System Retinsäure dazu, eine Substanz, die von Vitamin A abgeleitet ist. „Das sorgt dafür, dass sich die Zellen zu Nervenzellen entwickeln. Nach weiteren sieben Tagen werden diese chemisch fixiert, zurück auf die Erde gebracht und im Labor untersucht“, schildert der Experte. Den Ergebnissen ihrer Untersuchungen fiebert das Forscher-Duo bereits jetzt entgegen: „Schließlich ist es das erste Mal, dass wir die Zellen auf der ISS testen können.“

Die meisten ihrer Versuche müssen wesentlich zügiger vonstattengehen: Ganze 22 Sekunden Schwerelosigkeit wissen die Forscher für ihre Experimente zu nutzen. Schon seit rund zehn Jahren nehmen die beiden regelmäßig an sogenannten Parabelflügen in einem umgebauten Airbus A 310 teil. Etwas mehr Zeit bieten die sogenannten Höhenforschungsraketen, die ebenfalls zum Forschungsprogramm gehören. „Diese Raketen fliegen 300 Kilometer hoch und landen rund 15 Minuten später wieder. Das beschert uns sechs Minuten Schwerelosigkeit“, sagt Kohn.

Letztendlich geht es den Hohenheimer Wissenschaftlern um Grundlagenforschung, wenn sie erkunden, wie sich die biophysikalischen Eigenschaften von Zellen unter Weltraumbedingungen ändern. „Wir wollen zum Beispiel besser verstehen wie Medikamente in eine Zelle gelangen und wie wir dies beeinflussen können“, erläutert Kohn. Das käme nicht nur einem im All erkrankten Astronauten zugute, bei dem die Dosierung der Medikamente angepasst werden müsse: „Auch auf der Erde kann das dazu beitragen, Medikamente zu optimieren.“