Fritz Currle schwelgt mit seiner Tochter Annette in Erinnerungen. In den 40 Jahren hat die Familie viel Zeit auf dem Weindorf verbracht. Auch Ehefrau Heiderose und Tochter Christel arbeiten im Unternehmen mit. Foto: Steegmüller Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Rund 300 000 Liter Wein wurden beim ersten Weindorf im Jahr 1976 ausgeschenkt. Und dennoch stand die Veranstaltung, die der damalige ADAC-Pressesprecher Erich Brodbeck ins Leben gerufen hatte, damals beinahe vor dem Aus. Ein Grund könnte das Sammelsurium an Provisorien gewesen sein. Hier eben ein Tapeziertisch aufgestellt, dort eine Zeltplane oder einen Sonnenschirm gespannt - fertig war das Weindorf. Gemütlichkeit sieht anders aus.

Zu diesem Schluss ist auch Verkehrsdirektor Peer-Uli Faerber in der Nachbetrachtung gekommen. Nach einer einjährigen Unterbrechung stellte er im Frühjahr 1978 im gut gefüllten Kursaal Bad Cannstatt sein Konzept vor, um das Weindorf doch noch aufs richtige Gleis zu stellen. „Er hat die Idee übernommen, sie positiv weiterentwickelt“, sagt der Uhlbacher Wengerter Fritz Currle, der ebenfalls anwesend war. Dazu stellte Faerber strenge Regeln auf, die bis heute noch größtenteils gelten: Zum Beispiel, dass auf dem Weindorf ausschließlich schwäbische Spezialitäten und qualitätsgeprüfte Weine aus Baden-Württemberg angeboten werden dürfen. Musik aus Lautsprechern sowie Blas- und Schlaginstrumenten sind verboten, schließlich sollen sich die Gäste unterhalten können. „Für seine begeisternde Rede erhielt er stehende Ovationen.“ Der Applaus ebbte jedoch schnell ab, als der Verkehrsdirektor seinen Schlüssel zum Erfolg präsentierte: 85 fertige Lauben, entworfen von Architekt Werner Schick. Der Haken: Sie sollten von den Innenstadtwirten für je 6000 Mark erworben werden. Um seine Idee zu unterstreichen, präsentierte er im Kurpark gleich noch zwei Prototypen. Und dennoch wendeten sich einige Gastronomen kopfschüttelnd ab. „Sie standen auf und gingen.“

Currle nicht. Stattdessen erkannte er die Chance, einen Fuß in die Tür zu bekommen, schließlich hatte er mit der Innenstadt bis dato nichts zu tun. „Ich habe mir gleich zwei Lauben gesichert.“ Und es zunächst bitter bereut. Im Herbst 1978, also bei der Wiederaufnahme des Weindorfs, sei das Wetter einfach zu schlecht gewesen. „Eine Katastrophe, trotz der Lauben. Es hat so stark geregnet und gezogen, dass meine Frau Heiderose und ich eigentlich gar nicht zum Arbeiten in die Innenstadt wollten.“

Am Anfang sei das Weindorf kein Renner gewesen, konstatiert Currle heute. Die Wirte, die er als eine eingeschworene Gemeinschaft bezeichnet, bissen sich aber durch. Nach und nach wurden Kinderkrankheiten ausgemerzt. Die Tresen wurden beispielsweise von der Rückwand der Lauben nach vorne versetzt und so die vorbeispazierenden Passanten direkt angesprochen. Auch beim Weinverkauf habe man eher bescheiden angefangen. „Wir hatten zwei große Plastikfässer dabei, den Weißwein kühlten wir mit nassen Handtüchern.“

Diese Zeiten sind lange vorbei, auch das viel kritisierte Zehntelesglas, das oft als Zahnputzbecher bezeichnet wurde, ist Geschichte. „Mir hat das von Anfang an gestunken, dass wir den besten Wein aus Senfgläsern ausgeschenkt haben.“ Im Laufe der Zeit habe er eigenhändig entschieden, auf Stielgläser umzustellen und vom Verkehrsverein eine Verwarnung bekommen. „Ich habe mich trotzdem nicht daran gehalten.“

Mit vier Jahren schon Weindorf-Fan

Wie das Stielglas hat sich das Weindorf in der Landeshauptstadt längst etabliert. Über all die Jahre mit dabei: die Töchter von Heiderose und Fritz Currle, die von Kindesbeinen in der Laube „Zum Dreimädelhaus“ mitangepackt haben. „Sie saßen schon mit vier Jahren auf der Theke, wollten abends gar nicht nach Hause.“ Kein Wunder: Von Beginn an eroberten sie die Herzen der Gäste. Sie erhielten für kleine Dienste ein aus ihrer Sicht großes Trinkgeld. „Für zehn Pfennig wurde auch mal ein Aschenbecher mehrfach geleert, obwohl längst keine Zigaretten mehr drin waren“, sagt Fritz Currle. Verdenken konnte man es den Mädchen nicht, sie konnten damals kaum über die Tische schauen.

Zwei der drei Töchter sind noch immer im Familienbetrieb aktiv. Mittlerweile überblicken sie jedoch nicht nur die Tische in der Laube. Christel Currle hat 2007 die Leitung des Weingutes übernommen, ihre Schwester Annette, gelernte Hotelmanagerin, ist verantwortlich, dass ab morgen in den Lauben „Zum Dreimädelhaus“ alles reibungslos abläuft. „Wir fangen immer rund drei Monate vor dem Weindorf mit der Planung an“, so die 44-Jährige. Richtig rund gehe es drei bis vier Wochen vor dem Auftakt. „Das Personal muss angemeldet und das Equipment gecheckt werden.“ Obwohl man seit Jahren ein eingespieltes Team sei, könne man erst am zweiten Tag entspannt arbeiten. „Es dauert einfach ein bisschen, bis jeder wieder weiß, wie und wo er hinlangen muss.“

Sobald alles läuft und der Laden voll ist, kann auch ihr Vater das Weindorf genießen. „Das ist der allerschönste Moment“, sagt Fritz Currle. Für große Freude sorgt jedoch auch, wenn sich die Politprominenz in seiner Laube blicken lässt. Ministerpräsident Lothar Späth habe ihn immer sehr beeindruckt, wenn er mit seinem Kabinett angerückt ist. „Er ist reingekommen und einfach nicht an den Leuten vorbeigelaufen, sondern hat alle begrüßt. Er ist auf sie zugegangen, das hat mir gefallen.“

Auch Oberbürgermeister Manfred Rommel habe mehrfach bei ihm Punkte gesammelt. „Während des Aufbaus lief er mit einem Fernsehteam über das Weindorf. Als er mich erblickte, kam er zu mir rüber und hat sich lang mit mir unterhalten.“ Dem Stadtoberhaupt sei es indirekt auch zu verdanken, dass das Traubenpressen, das Currle gemeinsam mit Bürgermeister Rolf Lehmann vor rund 30 Jahren ins Leben gerufen hatte, in seiner jetzigen Form existiert.

„Wir wollten den Zeitungen damals etwas Futter geben, eben ein Thema, über das sie berichten können. Zunächst setzten wir zum Pressen der Treppen auf der Rathaustreppe eine Handraspel ein. „Rommel hat jedoch in seiner typischen Art angemerkt, dass man so etwas eigentlich früher traditionell mit den Füßen gemacht hat. Ich fand die Idee lustig, ein Jahr später hatten wir sie umgesetzt.“

Mit Erfolg: Auch beim 40. Stuttgarter Weindorf wird sich die lokale Prominenz wieder in den Zuber stellen. Am Dienstag, 30. August, findet um 16 Uhr das traditionelle Traubenpressen mit Bürgermeistern, Stadträten sowie den Weindorf-Wirten statt.