Religions- und Erziehungswissenschaftler Olcay Miyanyedi. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Stuttgart (lsw) - Schwule und lesbische Migranten haben es wegen ihrer Religion oder enger Familienverhältnisse oft nicht leicht. Die Türkische Gemeinde in Deutschland bricht nun mit einem eigenen Tabuthema: Homosexualität. Mit der Teilnahme an der CSD-Parade am kommenden Samstag in Stuttgart will man ein Zeichen setzen.

Vor der „Party des Jahres“ will die 21 Jahre alte Kübra lieber nicht an ihre Eltern denken. In der türkischen Familie ist das Leben der lesbischen Tochter tabu. Aber für die junge Frau ist der Christopher Street Day (CSD), das international gefeierte Straßenfest für die Rechte von Homosexuellen, ein Tag der Freiheit. Zur CSD-Parade will sich die Erzieherin zeigen, wie sie ist: mit Piercing in der Nase und gefärbten Haaren - als lebensfrohe lesbische Frau.

Während sie in der Türkischen Gemeinde in Stuttgart dem Religions- und Erziehungswissenschaftler Olcay Miyanyedi von ihrem Leben erzählt, mag sie lieber nicht fotografiert werden. Es geht ihr um Rücksicht auf die muslimische Familie. „Wenn jemand homosexuell ist, fürchten schnell auch die Angehörigen um ihren Ruf“, sagt Miyanyedi. „Da denken viele dann, dass die ganze Familie schwul und das dies eine Krankheit ist.“ Am schlimmsten werde es für die jungen Männer und Frauen, wenn sie in Familientribunalen unter Druck gesetzt würden, sagt Miyanyedi. Der 25-Jährige leitet mit dem Psychologen Jochen Kramer das Pilotprojekt „Kultursensibel“, das Migranten bei Problemen mit der eigenen Sexualität helfen soll.

Junge Türken und andere Migranten erlebten zwar in Deutschland eine offene und tolerante Gesellschaft, sagt Kramer. „Wegen ihres Lebens in konservativ-traditionellen oder stark religiösen Familien können sie aber oft ihre Sexualität nicht frei ausleben“, sagt er. Psychische Belastung und Leidensdruck könnten die Folgen sein. Ziel sei es, Strategien gegen Ausgrenzung zu entwickeln. Geholfen werde den Jugendlichen, mit Ängsten umzugehen. Niemandem werde aber dazu geraten, sich in der eigenen Familie zu outen, sagt Kramer.

Erzieherin Kübra kann bestätigen, dass ihre Eltern sich schämten für die sexuelle Orientierung ihrer Tochter. Wenn sie Mutter, Vater und Geschwister besucht, nimmt sie ihre Piercings ab - und redet nicht darüber, dass sie eine Frau liebt. „Ich will keinen Streit“, sagt sie. Im Verwandtenkreis gebe es islamische Geistliche und verschleierte Frauen.

Zum ersten Mal nimmt die Türkische Gemeinde in diesem Jahr am CSD in Stuttgart teil. Aus Sicht des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschlands (LSVD) hat dies „Pilotcharakter“. Dass sie sich offiziell dem Tabu-Thema stellt, soll auch Eltern toleranter machen. „Die Eltern merken dann, dass sie nicht alleine sind“, sagt der Bundesvorsitzende der Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu. Viele wüssten nicht, wie sie mit sexueller Vielfalt umgehen sollen.

Die Polit-Parade zieht am Samstag, 30. Juli, zum 20. Mal durch die Stuttgarter Innenstadt. Start ist um 16 Uhr. Angemeldet sind insgesamt 84 Formationen mit gut 4500 Teilnehmern. Erwartet werden mehr als 200 000 Zuschauer entlang der Umzugsstrecke. Am 30. und 31. Juli findet auf dem Markt- und Schillerplatz sowie in der Kirchstraße die CSD-Hocketse statt.