Thomas Ebinger, Chefarzt am Karl-Olga-Krankenhaus, hat den kleinen Mohammad aus Afghanistan erfolgreich an der rechten Hand operiert. Foto: Steegmüller Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Mohammad lebt mit seinen Eltern und Geschwistern im Norden Afghanistans. In seiner Heimat ist er ein Außenseiter. Er kann nicht schreiben, obwohl er regelmäßig zur Schule geht. Auch das Essen mit einer Gabel fällt ihm schwer. Der Siebenjährige ist jedoch nicht geistig zurückgeblieben. Im Gegenteil: Er ist hellwach, wirkt aufmerksam und beobachtet sein Umfeld ganz genau. Als Kleinkind hat er sich jedoch beide Hände mit heißem Wasser verbrüht. Seit er zwei Jahre alt ist, kann er die Finger nicht mehr strecken. Die schweren Verletzungen des Jungen wurden zwar unmittelbar von Ärzten versorgt und somit eine Amputation verhindert, aber es blieben große Narben zurück, die ein Öffnen der Hände nicht mehr möglich macht. Das Aus für die Fahrradtour mit Freunden oder eine Runde Völkerball im Schulhof. Meistens muss der Junge sich daher mit der Rolle des Zuschauers begnügen.

Eine Operation hätte Mohammad schon vor langer Zeit helfen können. Doch in Afghanistan ist weder die medizinische Versorgung für solch einen Eingriff vorhanden, noch haben die Eltern das nötige Geld dafür. Anfang 2016 wandten sie sich deshalb an die Hilfsorganisation Friedensdorf International, die seit 1967 verletzten und kranken Kindern aus Kriegs- und Krisengebieten hilft und seit 30 Jahren in Afghanistan vor Ort ist. Doch auch sie wurde auf der Suche nach einem Arzt zunächst nicht fündig. „Obwohl wir sowohl im gesamten Bundesgebiet als auch in Österreich angefragt haben“, sagt Sprecherin Maria Tinnefeld. „Drei deutsche Kliniken hielten die Behandlung für technisch zu anspruchsvoll beziehungsweise wenig erfolgversprechend.“ Thomas Ebinger, Chefarzt der Klinik für Hand-, Plastische und Mikrochirurgie am Karl-Olga-Krankenhaus, hat die Herausforderung jedoch angenommen. „Als ich Mohammad zum ersten Mal begegnete, sahen seine Hände aus wie zwei kleine Fäustlinge. Da Narben nicht mitwachsen, werden seine Finger massiv in der Entwicklung behindert.“ Der erfahrene Chirurg operierte Mohammad, der seit Mitte Februar in Deutschland ist, zunächst an der rechten Hand - mit Lupenbrille und Mikroskop. Für die Wiederherstellung der Greiffunktion waren insgesamt drei operative Eingriffe unter Vollnarkose notwendig. Dazu entnahm der Mediziner unter anderem Gewebe aus dem Unterarm des Jungen, um dieses auf die Hand zu transplantieren. „Eine leichte Einschränkung wird sicherlich immer bleiben“, sagt Ebinger. „Aber Mohammad trainiert fleißig mit unseren Physio- und Ergotherapeuten und erzielt bereits gute Fortschritte.“ Schon jetzt könne er die Finger seiner rechten Hand etwas bewegen. Die besten Beweise liefert der kleine Patient selbst: Tagsüber jagt er über den Flur des Krankenhauses einem ferngesteuerten Auto hinterher, abends sitzt er auf seinem Bett und greift stolz nach einem Stück Pizza - bis vor wenigen Wochen noch undenkbar.

Der Eingriff ist im Karl-Olga-Krankenhaus kein Einzelfall. Seit mehr als 13 Jahren arbeiten die Medizinier mittlerweile mit der Hilfsorganisation Friedensdorf International zusammen, die sich in Dinslaken derzeit um rund 300 Kinder aus neun Nationen kümmert. 13 solcher Patienten, pro Jahr also einer, wurden seither im Stuttgarter Osten behandelt - komplett kostenlos. „Das ist keine Selbstverständlichkeit“, sagt Ebinger, dessen Dank nicht nur der Klinikleitung gilt. „Während für uns der Eingriff nach einigen Stunden vorbei ist, liegt die größte Belastung beim Pflegepersonal.“ Der Chefarzt ist zudem voll des Lobes für die Hilfsorganisation. „Sie kümmert sich um sämtliche Formalitäten, organisiert die Reise nach Deutschland und übernimmt nach Verlassen der Klinik auch die Nachbetreuung, ehe die Kinder wieder zurück zu ihrer Familie dürfen.“ So könne er sich gemeinsam mit seinem Team voll und ganz auf den medizinischen Einsatz konzentrieren.

In den nächsten Tagen soll auch Mohammads linke Hand operiert werden. Ein insgesamt rund dreistündiger Eingriff, der sein Leben wohl nachhaltig verändern wird. Wenn alles nach Plan läuft, wird er bereits im August zu seiner Familie zurückkehren. Dann steht der Fahrradtour mit seinen Freunden nichts mehr im Weg.