Quelle: Unbekannt

Von Jan-Philipp Schütze

Stuttgart - Goshiki, Bekko und Kawarimono, dazu Shusui, Utsurimono und natürlich Kohaku - wenn Jörg Scherle über die Zuchtformen von Koi spricht, ist er voll in seinem Element. Der 46 Jahre alte Stuttgarter ist leidenschaftlicher Karpfen-Züchter und als solcher äußerst erfolgreich. Bei der diesjährigen „Nishikigoi of the World”, der weltweit größten Fachmesse für Koi in Japan, war Scherle der beste Europäer im Starterfeld. Mit 17 Fischen verschiedener Varietäten trat er in unterschiedlichen Größenklassen an, am Ende holte er 14 Weltmeister-Titel. Der Erfolg kommt nicht von ungefähr. Seit mehr als 15 Jahren befasst sich Scherle mit den schwimmenden Schönheiten. „Mich fasziniert vor allem ihr Charakter“, sagt er. Anders als andere Fische seien die Nishikigoi, wie sie auf japanisch heißen, im Grunde sehr zutraulich und ließen sich auch streicheln. „Ich kenne Besitzer, die zusammen mit ihren Koi im Teich schwimmen.“ Scherle selbst besitzt aktuell etwas mehr als 350 Koi, von kleinen Jungtieren bis zu ausgewachsenen Prachtexemplaren. Sie alle tummeln sich in acht Teichen und Becken mit einem Fassungsvermögen von gut 110 000 Litern, die im Innenhof und in Nebenräumen des Hotels zur Weinsteige untergebracht sind, dessen Geschäftsführer Scherle ist. Ausgeklügelte Filteranlagen und Teichheizungen sorgen für das perfekte Wohlfühlklima in der Anlage.

„Der Koi ist einer der anspruchsvollsten Süßwasserfische, den es gibt“, sagt Scherle. Die Zuchtform des Karpfens, auch Brokatkarpfen genannt, kann bis zu 70 Jahre alt werden und eine Körperlänge von einem Meter erreichen. Zum Füttern verwendet Scherle pro Jahr rund zwei Tonnen Pellets, die unter anderem Weizen, Fischöl, Shrimps und Vitaminen enthalten. Ab und an bekommen die Fische auch Brot oder Spätzle. Über den Becken im Freien, in denen die kleineren Jungtiere schwimmen, hat Scherle große Netze angebracht, die gefräßige Raubvögel abhalten sollen. Besonders aufmerksam müsse er sein, wenn die Fischreiher der Wilhelma Junge haben und sich in der Stuttgarter Innenstadt auf Nahrungssuche begeben, sagt er.

Scherle hat sich auf den Handel mit Koi spezialisiert, das Züchten überlässt es den Profis in Japan. Jedes Jahr im Oktober reist er zur Koi-Ernte nach Niigata im Norden des Landes. „Dort sind die Farmen von rund 250 kleineren Züchtern, die sich auf bestimmte Varietäten spezialisiert haben.“ Vor Ort sucht sich Scherle diejenigen Tiere heraus, in denen er größte Entwicklungspotenzial sieht und lässt sie per Luftfracht nach Deutschland versenden. Damit die Fische bei einer Meisterschaft gut abschneiden, müssten sie eine gleichmäßige Form und eine saubere Farbgebung haben, erklärt Scherle. Gewinnt ein Koi dann tatsächlich einen Titel, ist das mit teils enormen Wertsteigerungen verbunden. „Bei kleinen Fischen kann der Preis um das Hundertfache steigen.“

Dass Scherle bei der Selektion der Koi ein gutes Gespür hat, davon zeugen die vielen Pokale und Urkunden, die er im Lauf der Jahre eingeheimst hat. Mit seiner Fachkenntnis hat sich der Stuttgarter auch in Japan einen Namen gemacht. Bereits im Vorfeld der diesjährigen Fachmesse in Tokio wurde er in die Hohe Mitgliedsjury der Koi-WM aufgenommen. „Die Aufnahme ist eine große Ehre und Auszeichnung“, sagt Scherle voller Stolz. Außer ihm seien nur fünf andere Deutsche in der Jury vertreten.

Anfang 2017 wird Scherle wieder mit seinen Kunden nach Japan fliegen, damit diese sich direkt beim Züchter ihre Traumkoi aussuchen können. Wer die Tiere bei sich zuhause halten wolle, sollte allerdings bereit sein, zunächst einmal viel Geld in gutes Equipment zu stecken, ehe er sich die sensiblen Fische anschafft. Bei der Haltung könne man vieles falsch machen. Günstige Koi seien zwar schon für weniger als 100 Euro zu haben, doch die Preise könnten je nach Qualität schnell in den vierstelligen Bereich klettern. Für gut betuchte Sammler sind besonders exklusive Koi gar ein Statussymbol wie ein Sportwagen oder eine Luxusuhr. Spitzenzüchtungen können da schon mal Verkaufspreise von bis zu 380 000 Euro erzielen. Ob solche Summen überhaupt gerechtfertigt sind? „Am Ende“, sagt Scherle, „ist es immer noch ein Fisch.“