Bei Feinstaubalarm sollen viele Diesel-Fahrzeuge ab 2018 nicht mehr in die Innenstadt fahren dürfen. Doch es sind Ausnahmen geplant. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Elke Hauptmann

Stuttgart - Die schwarz-grüne Landesregierung hat beschlossen, dass ab 1. Januar 2018 Dieselautos, die nicht die Euro-6-Norm erfüllen, an Feinstaubalarm-Tagen im Stuttgarter Talkessel sowie in Teilen von Feuerbach und Zuffenhausen nicht fahren dürfen. Die Umsetzung dieses Fahrverbots wirft jedoch viele Fragen auf. Wie soll man das kontrollieren? Wird es Ausnahmeregelungen geben? Wenn ja, für wen?

In Stuttgart sind gegenwärtig 107 000 Dieselfahrzeuge zugelassen, 73 000 davon erfüllen nicht die Abgasnorm Euro 6. Es sind keinesfalls nur alte Stinker: Die letzten Autos der Euro-5-Generation sind gerade mal knapp zwei Jahre alt. Betroffen wären von einem Fahrverbot auch die zahlreichen Pendler - in der Region Schätzungen zufolge weitere rund 360 000 Autos. Immer dann, wenn die Landeshauptstadt Feinstaubalarm auslöst, weil die Belastung am stark belasteten Neckartor den Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft überschreitet, sollen sie künftig nicht mehr in der Stuttgarter Innenstadt und auf den Bundesstraßen 10, 27 und 295 fahren dürfen. Die Fahrzeugmenge könnte sich damit am Neckartor um ungefähr 20 Prozent reduzieren.

Oberbürgermeister Fritz Kuhn begrüßt den Kabinettsbeschluss zwar ausdrücklich, räumt aber auch ein: „Die Umsetzung der geplanten Maßnahmen wird nicht einfach werden.“ Denn: „Verkehrsbeschränkungen müssen recht- und verhältnismäßig sein. Ein generelles Dieselverbot wäre zu pauschal“, meint der OB. „Selbstverständlich“ werde es Ausnahmen geben - für Handwerker, den Lieferverkehr und Rettungskräfte zum Beispiel. „Niemand hat ein Interesse, Stuttgart lahmzulegen.“ Geschätzt wird, dass es für etwa 20 Prozent der betroffenen Fahrzeuge Ausnahmeregelungen geben wird.

Die stadtinternen Gespräche unter den zuständigen Referaten und Ämtern darüber, wie das Fahrverbot für Dieselfahrzeuge umzusetzen ist, haben bereits begonnen. Für die konkrete Erarbeitung von Ausnahmeregelungen aber benötige man Sorgfalt und Zeit: „Das muss rechtssicher und verlässlich sein“, wirbt Kuhn um Verständnis bei den Firmen, die Planungssicherheit verlangen. Es gehe darum, einen Ausgleich zu finden zwischen dem Bedürfnis der Bürger nach Verbesserungen der Luft in Stuttgart und dem der Wirtschaft nach Mobilität. Das Mittel der Wahl sei für ihn die blaue Plakette, für die es allerdings bislang keine Mehrheit auf Bundesebene gibt.

Wirtschaft mahnt rasch Konzept an

Die Interessenvertreter der Wirtschaft fordern, die Ausgestaltung der Ausnahmegenehmigungen zügig anzugehen. „Es darf nicht erst eine Entscheidung auf Bundesebene über die blaue Plakette abgewartet werden, bereits jetzt muss für den Fall einer Ablehnung geplant werden“, fordert Thomas Hoefling, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Region Stuttgart. Großen Wert lege man auf ein unbürokratisches Verfahren. „Es soll am Ende nicht jeder Handwerker aufs Amt laufen müssen.“ Der Baden-Württembergische Handwerkstag (BWHT) beharrt auf seiner Forderung nach einer achtjährigen Übergangsfrist für Handwerker-Fahrzeuge. Alles andere wäre nicht verhältnismäßig. „Wir wollen keine Sonderbehandlung, sondern die Abfederung von Härten, die uns aufgrund gesetzlicher Maßnahmen entstehen“, so Landeshandwerkerpräsident Rainer Reichhold.

„Besorgt“ zeigt sich die Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart darüber, dass Stadt und Land „noch immer keinen Plan dafür in der Tasche haben, wie man bei Verkehrsbeschränkungen mit dem Wirtschaftsverkehr umgehen will“, moniert IHK-Hauptgeschäftsführer Andreas Richter. Solle nur der, der etwas ausliefere, dann ausgenommen sein? „Was ist dann mit all den Dienstleistern, Außendienst-Mitarbeitern und Handwerkern? Nicht jeder von denen liefert etwas aus.“ Ganz abgesehen davon, habe der Zwang zur Stilllegung von gewerblich genutzten Dieselfahrzeugen „den Charakter einer faktischen Enteignung von Betriebsvermögen“, sagt Richter. Für viele Unternehmen seien ihre Fahrzeuge Arbeitsmittel und Existenzgrundlage.

Polizei sieht Probleme

Die Polizei rätselt derweil, was das geplante Fahrverbot für sie bedeuten könnte. „Unbeantwortet bleibt etwa, wie die Fahrverbote durchgesetzt werden sollen ohne die blaue Plakette“, sagte Ralf Kusterer, Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Personell brauchten Land und Stadt hier mit der Polizei nicht zu rechnen. „Wir sind nicht in der Lage, das auch nur ansatzweise zu überprüfen und für die Einhaltung zu sorgen“, betont Kusterer. Ohne den blauen Aufkleber an der Windschutzscheibe seien die Sünder nicht auf den ersten Blick zu erkennen, heißt es bei der Stuttgarter Verkehrspolizei. Allenfalls könne man bei Stichproben den Fahrzeugschein kontrollieren.

Eine pragmatische Lösung schlägt der Eigentümerverein Haus & Grund vor: Man sollte über ein Fahrverbot für die mehr als 235 000 Einpendler nachdenken - und die S-Kennzeichen davon ausnehmen. „Im Zweifel wäre das das mildere Mittel“, meint der Vereinsvorsitzende Klaus Lang. Wenn man jedoch den Berufsverkehr verlagern wolle, müsse man den öffentlichen Nahverkehr, der bereits heute an Kapazitätsgrenzen stoße, ausbauen. „Wie der ÖPNV bei einem Diesel-Fahrverbot tausende von zusätzlichen Fahrgästen verkraften soll, ist eine der Fragen, die einfach ausgeblendet wird.“