Teodor Currentzis hält es nicht auf dem Podium, er wirbelt schon mal zwischen den Musikern. Foto: SWR Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Stuttgart - Er fläzt im Garderobensessel, demonstrativ ausgepowert, den linken Arm um die Lederjacke gekrümmt, wie ein erschlaffter Godfather of Death Metal. Die Botschaft: totale Verausgabung. Teodor Currentzis arbeitet hart an diesem Image, mit solchen und ähnlichen Bildern geht er durch die Medien: konsequent unklassische Gegenbesetzungen zum Klischee des klassischen Taktstock-Heroen, verkaufsfördernde Rebellen- und Radikalinski-Posen. Doch ist der 45-Jährige beileibe kein Poseur, sondern der vielleicht aufregendste und interessanteste Dirigent seiner Generation. Seine Konzerte und CD-Aufnahmen strafen Lüge, was als Marketing-Masche Misstrauen weckt: Der Mann meint es ernst, die musikalischen Resultate klingen noch beim abgenudeltsten Repertoirestück, als höre man es zum ersten Mal. Gestern wurde Teodor Currentzis als Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters ausgerufen, mit der Spielzeit 2018/19 tritt er sein Amt an: ein grandioser Coup der Orchesterverantwortlichen des Senders. Angetreten ist der aus der umstrittenen Zwangsfusion der Stuttgarter Radio-Sinfoniker und des SWR Symphonieorchesters Baden-Baden und Freiburg hervorgegangene Klangkörper im Herbst 2016 noch ohne Chef.

Heiß umworben

Der 1972 in Athen geborene Currentzis, mittlerweile heiß umworben von den berühmtesten Opernhäusern und Orchestern der Welt, hat eine wahrhaft außergewöhnliche Karriere hinter sich. Sie begann an der Peripherie des Musikbetriebs: in Nowosibirsk. Und sie begann nicht mit Traditionssinfonik, sondern mit historischer Aufführungspraxis. Mit seinem Originalklang-Ensemble MusicAeterna machte Currentzis im fernen sibirischen Osten Furore, die bald auch in die Gehörgänge westlicher Musikmanager drang.

Radikal ausgelotet

Ab 2011 schufen er und MusicAeterna, in die gleichnamige Stadt am Ural umgezogen, das „Wunder von Perm“: Von Mozarts Da-Ponte-Opern bis zu Werken Strawinskys entstanden in CD-Einspielungen dokumentierte Interpretationen, deren emotionale Brisanz, schroffe Akzentuierung, radikale Auslotung aller Nuancen und Facetten ein absolutes Novum darstellen. Nächtelange Probenorgien und ein guruhaft durch die Musikerreihen tänzelnder, fuchtelnder und befeuernder Dirigent - auch dies gehört zur Sankt-Teodor-Legende - stehen hinter dem gloriosen musikalischen Extremismus.

Dass Currentzis - ein entschiedener Anti-Spezialist, vom Frühbarock bis zur Gegenwartsmusik mit gleichem Einsatz zugange - auch mit traditionellen Tarifvertrags-Sinfonikern bestens zurechtkommt, hat er als Gastdirigent der einstigen SWR-Orchester und anderer Klangkörper bewiesen. Eine spannende Perspektive jedenfalls, wie er das neue Fusionsorchester auch zur klanglichen Fusion bringen wird. Seinen Einstand gibt er bereits vor dem Amtsantritt: am 18. und 19. Januar 2018 im Stuttgarter Beethovensaal mit Bruckners neunter Sinfonie.