Die blaue Plakette wird vorerst nicht eingeführt. Nach Ansicht des Verkehrsministeriums wäre sie in Stuttgart jedoch sinnvoll. Foto: blaue-plakette.de Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Um die Feinstaub- und vor allem Stickoxid-Belastung in der Landeshauptstadt unter die zulässigen Grenzwerte zu senken, sei ein ganzer Strauß an Maßnahmen notwendig, so Uwe Lahl, Ministerialdirektor im Verkehrsministerium. Im Umwelt- und Technikausschuss machte er sich gestern für die blaue Plakette stark. „Sie bringt am meisten.“ Trotz der Absage von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sei sie nicht tot. Er werde für sie kämpfen, im Kabinett und auch nächste Woche beim Treffen der Verkehrsminister in Stuttgart.

Keine Frage, in den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die Luft in Stuttgart konstant besser, die Belastung für die Bürger geringer geworden. Trotz des deutlichen Rückgangs, der auch bis 2020 prognostiziert wird, „kommen wir bis dahin aber nicht unter die erforderlichen Grenzwerte“, sagte Christoph Erdmenger, der im Verkehrsministerium für nachhaltige Mobilität zuständig ist. Die Ziele seien sehr ambitioniert. Im Rathaus stellte er gestern Maßnahmen zur Luftreinhaltung und ihre möglichen Auswirkungen vor. Die Eier legende Wollmilchsau hatte er nicht dabei, betonte jedoch, dass auch viele kleine Schritte etwas bringen würden. „Wir müssen Erbsen sammeln.“

Die Umstellung von Liefer- und Behördenfahrzeugen sowie Taxis auf E-Mobilität könnte die Stickoxid-Belastung beispielsweise um bis zu vier Prozent senken. Da Feinstaub hauptsächlich durch Reifenabrieb und Bremsvorgänge entsteht, würde sich dieser Wert nicht verändern. Die verstärkte Förderung von Bus und Bahn sowie der Ausbau von Radwegen könnte die Zahl der Fahrzeuge um drei Prozent reduzieren, Stickoxide, die vor allem durch Abgase verursacht werden, um zwei.

Mit einer City-Maut, für die es keine rechtliche Grundlage gibt, und einer Nahverkehrsabgabe, also quasi ein verpflichtendes VVS-Abo für Autobesitzer, könnte die Stickoxid-Belastung um sieben beziehungsweise vier Prozent gesenkt werden. Deutlich mehr Potenzial sieht der Experte in der blauen Plakette. Sie könnte Stickoxide um bis zu 40 Prozent reduzieren.

Das Problem: Am 9. August wurde die Einführung vom Bund gestoppt, die Pläne liegen auf Eis. „Ohne die blaue Plakette wird es ganz, ganz schwierig“, so Ministerialdirektor Lahl. „Ich habe Angst, dass ein Richter ein Fahrverbot anweist.“ Unter anderem hat die Deutsche Umwelthilfe geklagt. Außerdem hat sich das Land in einem gerichtlichen Vergleich bereits im Mai verpflichtet, ab dem 1. Januar 2018 am Neckartor verkehrsbeschränkende Maßnahmen zu ergreifen, sollten die Immissionsgrenzwerte dort auch 2017 überschritten werden. Dann müsste das Verkehrsaufkommen auf der Hauptverkehrsader bei schadstoffträchtigen Wetterlagen um rund 20 Prozent reduziert werden. Doch wie? Diese Frage stellten sich auch die Mitglieder des Umwelt- und Technikausschusses. Für CDU-Chef Alexander Kotz gibt es nicht die eine Lösung. „Außer den Verkehr stillzulegen, das will aber keiner.“ Stattdessen müsse man ihn auf anderen Achsen durch die Stadt verteilen. Zugleich erinnerte Kotz daran, dass die Zeit dränge. „Es geht hier nicht um eine Olympia-Bewerbung für das Jahr 2036. Wir haben bis 2018 noch 15 Monate. Bis dahin sollten wir nicht nur diskutieren, sondern die Ideen umsetzen, um um ein Fahrverbot herumkommen.“

FDP-Stadtrat Michael Conz ist nicht so optimistisch wie der Christdemokrat. Er glaubt zwar, dass der Feinstaub-Grenzwert, der nur noch knapp überschritten wird, in absehbarer Zeit eingehalten werden könne. Schwarz sieht er dagegen beim Stickoxid. „Es ist ein Problem, das ohne Fahrverbote, in welcher Form auch immer, eigentlich nicht zu lösen ist.“

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Körner schließt sich Conz an. Es seien viele Maßnahmen, die alle nur ein bisschen was bringen. Zugleich warnt er davor, ab 2018 am Neckartor den Verkehrsfluss aufgrund des Vergleichs zu begrenzen. „Dann fahren die Autos eventuell durch andere Stadtgebiete, wo noch mehr Menschen leben.“ Kritik übte er an EU und Bund. „Sie haben uns Hausaufgaben aufgegeben, die wir nicht lösen können. Jetzt spielt das Land den Ball nach Berlin, das bringt uns aber auch nicht weiter.“ Sollte die blaue Plakette doch noch kommen, müsse man das Park-&-Ride-Angebot deutlich ausbauen und die Taktung im öffentlichen Nahverkehr, vor allem die der SSB-Buslinien, erhöhen. „Dazu muss das Land Geld in die Hand nehmen“, sagte Körner, der betonte, dass das A und O für eine bessere Luft saubere Autos seien. Grünen-Chef Andreas Winter fügte hinzu, dass man von der Automobilindustrie und der angebotenen Technik abhängig sei. „Sie sollte vorangehen.“

Deutlicher wurde indes SÖS-Stadtrat Luigi Pantisano. Er kritisierte, dass die Wirtschaft mit Samthandschuhen angefasst werde. „Die Autobauer handeln nur, wenn sie Restriktionen kriegen.“ Gleiches gelte für Autofahrer. „Eine Begrenzung des Verkehrs ist nur mit Zwang möglich.“

Mehr Informationen gibt es im Internet unter www.blaue-plakette.de.