Die Besucher dürfen die PS-starken Exponate anfassen - allerdings nur mit Handschuhen. Foto: Eisenmann Quelle: Unbekannt

Von Andrea Eisenmann

Stuttgart - Es gibt sie im Porsche-Museum zuhauf - kleine Aufkleber an den Fahrzeugen, auf denen zu lesen ist: „Bitte nicht berühren, please do not touch“. An diesem Morgen ist diese Vorschrift für eine siebenköpfige Gruppe außer Kraft gesetzt: Sie streichen vorsichtig mit ihren Fingern über schnittige Kotflügel und hölzerne Lenkräder, berühren Chromzierleisten und Spoiler, klopfen auf Räder und Ledersitze. Und das Beste: Autos, die sonst verschlossen sind, laden zum Einsteigen ein. Einmal im Jahr stehen in dem Museum in Zuffenhausen vier Tage lang Menschen mit Behinderung im Mittelpunkt. Gehörlose werden bis Sonntag in Gebärdensprache in die Geschichte der Sportwagen-Schmiede eingeführt, Führungen in einfacher Sprache werden für Menschen mit Lernschwierigkeiten angeboten. Auch Sehbehinderten wird der Reiz der Marke vermittelt. Dafür sind fast alle Sinne gefordert, vor allem der Tastsinn. Einen „Dresscode“ gilt es allerdings zu beachten: Handschuhe sind Pflicht. Museums-Mitarbeiterin Yoshiko-Murielle Bergier hat deshalb für jeden Teilnehmer aus der Gruppe die weißen Stoff-Accessoires mitgebracht.

Der Rundgang beginnt in der Vergangenheit, genauer gesagt: Im Jahr 1898, als der legendäre Gründer der Sportwagen-Dynastie, Ferdinand Porsche, mit dem „P1“ eine Art Kutsche mit Elektroantrieb konstruierte. „80 Kilometer konnte das Fahrzeug mit seiner Batterie zurücklegen“, fasst Bergier die wichtigsten Daten zusammen. „An der Unterseite befand sich eine Nadel, die in Notfällen in den Boden gerammt werden konnte.“ Daniela Mettvett streicht über die Reifen. Die 41-Jährige gehört zu den wenigen in der Gruppe, die noch selbst hinter dem Steuer eines Fahrzeugs sitzt. Allerdings fahre sie nur tagsüber, nur in Ortschaften und höchstens mit Tempo 80. Und auch das wird ihr eines Tages nicht mehr möglich sein. Ihr Sehvermögen auf dem rechten Auge beträgt noch etwa 40 Prozent, auf der linken Seite sieht sie bereits heute nichts mehr. Einen Porsche hätte sie gern einmal gefahren, sagt sie lachend, aber mit ihren Peugeot-Cabrios sei sie auch immer zufrieden gewesen.

Weltberühmte Automobilikonen werden in den folgenden 90 Minuten von der Gruppe aus nächster Nähe begutachtet - und dies etwas anders als sonst. Probesitzen ist beispielsweise im 911er der ersten Generation angesagt. Jedes scheinbar noch so banale Geräusch wird intensiv wahrgenommen. „Ein ganz besonderer Klang“, schwärmt Georg Stamatiou, als die Autotür ins Schloss fällt. Noch einmal wird die Tür geöffnet und wieder zugeschlagen. Ein dumpfes Ploppen ist zu hören. Einige stecken ihren Kopf ins Fahrzeuginnere, um den Geruch einzuatmen. „Diese besondere Mischung aus Leder, Benzin und Öl.“ In der kleinen Gruppe - allesamt Teilnehmer der beruflichen Reha bei der Nikolauspflege - sticht Stamatiou mit Detailwissen über die eleganten Flitzer hervor. Ein Wissen, das nicht von ungefähr kommt: „Ich habe früher in einer exklusiven Lackiererei für Sportwagen gearbeitet.“ Kurze Spritztouren in einem Porsche waren deshalb keine Seltenheit. Seine Stimme klingt wehmütig, wenn er erzählt, seit 15 Jahren nicht mehr Auto gefahren zu sein. „Es fehlt mir, es war für mich ein Stück Freiheit.“ Durch eine Krankheit sei er auf dem rechten Auge blind geworden, auf dem linken Auge hat er immer wieder mit Sehfeldausfällen zu kämpfen. Auch Alexander Tsiaussis vermisst die Zeit hinter dem Steuer. „Wenn ich hier durch das Museum laufe, wird mir meine Behinderung wieder deutlich bewusst.“

An diesem Morgen werden einige Geheimnisse gelüftet: Die Besuchergruppe erfährt, warum der Porsche 901 in 911 umbenannt werden musste. Dass die rosa lackierte „Rennsau“ mit den aufgezeichneten Metzgerpartien das meist fotografierte Fahrzeug des Museums ist und das Dach des ersten Targa 911 zusammengefaltet in den Kofferraum gelegt werden musste. Die Faszination der Marke geht zum Schluss noch einmal ins Ohr. Unter den „Sound-Duschen“ heulen die Motoren auf, legendäre Sportwagen sausen herum - allerdings nur durch die Gehörgänge.