Höchste Eisenbahn: Konzernchef Rüdiger Grube macht bei S21 Tempo, um den Zeitverzug aufzuholen. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

„Was der Bundesrechnungshof gemacht hat, entspricht nicht meiner Vorstellung von Transparenz und Offenheit.“„Dass OB Kuhn am Festakt zum ersten Tunneldurchstich teilnahm, war ein gutes und wichtiges Zeichen.“

Berlin - Potsdamer Platz, der sogenannte Bahntower. 26 Stockwerke hat das prägnante, von Helmut Jahn entworfene Gebäude. In der 25. Etage liegt das Büro von Rüdiger Grube, es bietet einen weiten Blick auf das Regierungsviertel und den Bahnhof. Dort empfing uns der Bahn-Chef zum Interview.

Waren Sie als Hamburger bei der Eröffnung der Elbphilharmonie?

Grube: Ich war dabei, und ich war sehr beeindruckt.

Haben Sie an dem Abend auch an Stuttgart 21 gedacht?

Grube: In der Tat. Wir werden in Stuttgart etwas Ähnliches wie in Hamburg erleben, wenn in einigen Jahren alles fertig ist. Dann werden die Stuttgarter sehen, wie wunderbar ihr neuer Bahnhof ist, state of the art, wie man sagt. Wir geben Stuttgart eine Fläche in der Größe von 130 Fußballfeldern zurück. Dadurch wachsen Schlossgarten und Rosensteinpark wieder zusammen. All das, was es da an Kritik an dem Projekt gab und gibt, wird rasch vergessen sein. Die Stuttgarter werden stolz auf ihren Bahnhof sein.

Ist das nicht ein bisschen sehr optimistisch?

Grube: Ich erinnere mich an 1996, als ich von München zu Daimler nach Stuttgart gekommen bin. Da war Spatenstich beim Bau der neuen Messe am Flughafen. Es gab Protestdemonstration mit über 30 000 Teilnehmern. Heute finden Sie keinen mehr, der den damaligen Messe-Neubau für eine falsche Entscheidung hält. Oder nehmen Sie den Neubau der Bahnstrecke Stuttgart - Mannheim. An manchen Tagen haben 25 000 Menschen dagegen protestiert. Einige von denen sind heute diejenigen, die in Mannheim wohnen und in einer halben Stunde zu ihrer Arbeit nach Stuttgart fahren. Man muss die Meinung der Öffentlichkeit ernst nehmen, heute mehr denn je - aber man muss auch den Mut haben, solche Infrastruktur-Projekte anzugehen, auch wenn eine Minderheit nicht begeistert ist. Andernfalls fügen wir dem Standort Deutschland großen Schaden zu. Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt Stuttgart 21.

Wenn Stuttgart 21 in einem Atemzug mit der Elbphilharmonie genannt wird, hat das aber meist einen eher unerfreulichen Grund.

Grube: Und im gleichen Atemzug mit dem Berliner Hauptstadtflughafen, darauf spielen Sie doch an. Die Elbphilharmonie sollte 79 Millionen Euro kosten, am Ende war es mehr als das Zehnfache. Wenn das bei Stuttgart 21 so wäre, lägen wir bei Kosten von 30 bis 40 Milliarden. Das ist völlig unvorstellbar, daher kann man es auch nicht miteinander vergleichen. Dass nun in Hamburg alle glücklich sind, lag vor allem am Regierenden Bürgermeister Olaf Scholz, der Ruhe in die Sache gebracht hat. Ganz anders als in Berlin, wo für BER ständig neue Eröffnungstermine genannt werden, die dann nicht zu halten sind. In Stuttgart, davon bin ich überzeugt, werden wir schaffen, was wir uns vorgenommen haben - falls wir weiter keine großen Überraschungen erleben, vor denen man gerade bei so vielen Tunnelbauten nicht gefeit ist.

Stuttgart 21 wird nicht das Zehnfache der ursprünglich genannten Summe kosten, aber mit 6,5 Milliarden fast das Doppelte. Laut einer Schätzung des Bundesrechnungshofes, die im Herbst bekannt wurde, könnten die Kosten noch auf bis zu zehn Milliarden Euro steigen. Darauf kann man nicht stolz sein, oder?

Grube: Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn hat zwei unabhängige Gutachter mit einer Prüfung unserer Kalkulation von 2013 in Höhe von 6,5 Milliarden Euro beauftragt. Beide Gutachter, die KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sowie Ernst Basler und Partner, haben unseren Finanzplan im Wesentlichen bestätigt.

Und was ist mit den Zahlen des Bundesrechnungshofs?

Grube: Der Bundesrechnungshof hat ganz anders gerechnet und Positionen miteinbezogen, die eindeutig außerhalb des Finanzierungsvertrags liegen, wie die Kosten für Bauzeitzinsen oder den Rückbau des Gleisfelds. Hier wurden Äpfel mit Birnen verglichen. Außerdem kommt der Bundesrechnungshof bei den Bauzeitzinsen auf einen Betrag von über einer Milliarde. Das ist etwa fünfmal so hoch wie von uns berechnet. Insofern ist die Kalkulation des Bundesrechnungshofs in meinen Augen nicht schlüssig.

Sie halten das Gutachten nicht für seriös?

Grube: So weit würde ich nicht gehen. Ich fand es bedauerlich, dass wir durch die Medien mit den Zahlen des Bundesrechnungshofs konfrontiert wurden. Auch nach mehrmaligem Bitten habe ich keine Unterlagen vom Bundesrechnungshof bekommen. Die zehn Milliarden standen plötzlich im Raum, und dann hat man uns medial getrieben. Das ist eine Art und Weise, die nicht meiner Vorstellung von Transparenz und Offenheit entspricht.

Aber mittlerweile liegt Ihnen das Papier vor?

Grube: Eine Woche, bevor wir dem Bundesfinanzierungsgremium unsere Kalkulation und die Gutachten von KPMG und Basler dargelegt haben, bekamen wir die Unterlagen. Wir konnten das Gremium nach meinem Eindruck davon überzeugen, dass wir bei der Kalkulation professionell, sachlich und richtig vorgegangen sind. Niemand muss sich Sorgen darüber machen, dass es große Abweichungen vom Kostenrahmen gibt. Beim Bau der Schnellbahnstrecke zwischen Stuttgart und Ulm liegen wir aktuell unter unserer Kalkulation.

Es heißt, die Risiken lägen vor allem im Anhydrit-Aufkommen. Tunnelbauer fürchten diese porösen Gesteinsschichten, weil sie bei Feuchtigkeit aufquellen und großen Schaden anrichten können.

Grube: Wir graben im Rahmen von S21 59 Kilometer Tunnel in Stuttgart, 40 Prozent davon haben wir bislang geschafft. Über 60 Prozent der relevanten Anhydritlinsen haben wir bislang ohne nennenswerte Hebungen durchfahren. Mit Professor Walter Wittke und seinem Team stehen die weltweit besten Experten auf diesem Gebiet an unserer Seite. Um sicher zu gehen, haben wir dort, wo es Anhydrit gibt, zahlreiche Maßnahmen umgesetzt, unter anderem die Anpassung der Tunnelprofile.

Was auch für große Unruhe gesorgt hat, war Ihre Äußerung, nicht Sie hätten Stuttgart 21 erfunden. Das klingt nicht so, als wären Sie von dem Projekt überzeugt.

Grube: Selbstverständlich stehe ich hinter dem Projekt und habe immer dazu gestanden, ohne Wenn und Aber. Was ich unglücklich fand, und daraus habe ich nie einen Hehl gemacht, war der Zeitpunkt der Finanzierungsvereinbarung. Die Unterschrift erfolgte im Jahr 2009, nicht einmal vier Wochen, bevor ich als Vorstandschef bei der Bahn anfing. Da hätte man mich mit einbeziehen müssen. Bei der Ausgestaltung der Verträge hätte ich als künftiger Bahn-Chef schon gerne ein Wort mitgeredet.

Was hätten Sie denn geändert?

Grube: Als ich hier anfing, hat man mir Stuttgart 21 präsentiert und gesagt, das sei das bestkalkulierte Projekt, das es gibt. Dann hat sich rasch gezeigt, dass die ursprünglich kalkulierten drei Milliarden Euro hinten und vorne nicht reichen. . .

. . . und auch der Zeitplan kaum einzuhalten ist.

Grube: Wir sind zwei Jahre im Verzug und versuchen nun mit aller Macht, das wieder aufzuholen. Aber wir haben die Kostensteigerungen und Verzögerungen bei Stuttgart 21 nicht deshalb, weil die Bahn so ein Projekt nicht realisieren könnte. Wir sind keine Anfänger: Wir bewältigen gegenwärtig über 3000 Infrastrukturprojekte in Deutschland mit einem Gesamtvolumen von 95 Milliarden Euro. Stuttgart ist nicht einmal unser größtes Projekt, das ist die Bahnstrecke München - Berlin, die wir Ende dieses Jahres termin- und kostengerecht in Betrieb nehmen werden, mit zahlreichen Brücken und Tunneln. Und die, die uns lauthals kritisiert haben, sind doch mit dafür verantwortlich, dass es bei Stuttgart 21 zu den Verzögerungen kam. Wir hatten eine Schlichtung, den Stresstest eine Volksbefragung und den Filderdialog. Das hat viel Zeit gekostet. Aber ich will kein Öl ins Feuer gießen. Wir arbeiten mit der Stadt, dem Land und den anderen Projektpartnern jetzt gut zusammen. Da freut es mich, wenn der Oberbürgermeister sagt, das Projekt sei gut für die Stadt und die Bahn solle sich beeilen und schauen, dass sie fertig wird.

Wie passt es dazu, dass die Bahn die Projektpartner verklagt, um deren Beteiligung an den Mehrkosten einzutreiben?

Grube: Wir alle haben den Finanzierungsvertrag unterzeichnet, und in dem steht die sogenannte Sprechklausel. Das heißt, bei Kostensteigerungen müssen sich die Partner an einen Tisch setzen und über die Aufteilung des zusätzlichen Finanzbedarfs sprechen.

Ist es nicht merkwürdig, dass bei einem milliardenschweren Gemeinschaftsprojekt gerade die Frage der Aufteilung von Kostensteigerungen im Vertrag mit dem schwammigen Begriff Sprechklausel geregelt ist?

Grube: Die Frage ist berechtigt. Ich hätte mir auch gewünscht, dass der Vertrag in diesem Punkt präziser formuliert ist.

Ministerpräsident Kretschmann und Stuttgarts OB Kuhn sagen sehr deutlich, dass sie nur das zahlen, was vereinbart ist.

Grube: Deshalb wird das nun juristisch geklärt. Uns blieb nichts anderes übrig, als Klage einzureichen. Andernfalls wären unsere Rechte und Ansprüche verjährt. Die Projektpartner und wir gehen professionell damit um. Gerade mit Herrn Kretschmann habe ich ein sehr gutes Verhältnis, und das wird auch so bleiben.

Was den Ministerpräsidenten aber nicht daran gehindert, dem Festakt zur Grundsteinlegung im September fernzubleiben, ebenso wie Kuhn. Deutlicher kann man sich nicht von S21 distanzieren.

Grube: Das muss jeder mit sich selbst abmachen, ob er zur Grundsteinlegung geht oder nicht. Herr Kuhn war dafür kurz vor Weihnachten beim ersten Tunneldurchstich in Stuttgart dabei. Das war ein gutes und wichtiges Zeichen.

Vom alten Bahnhofsgebäude, dem Bonatzbau, hat man schon lange nichts mehr gehört. Haben sich die Pläne geändert?

Grube: Nein. Der Bau bleibt wie geplant bestehen und wird von Grund auf saniert. Wir lassen uns das rund 100 Millionen Euro an eigenen Mitteln kosten. Als Entree für den Übergang in den tiefer gelegten Bahnhof wird das ein Schmuckstück, das Abertausende von Besuchern aus aller Welt nach Stuttgart locken wird.

Im vergangenen Frühjahr verlor die Bahn die Ausschreibung um den Stuttgarter Nahverkehr ab 2019 an die privaten Konkurrenten Abellio und Go-ahead, wegen eines Formfehlers. Da geht es um ein Volumen von 2,7 Milliarden Euro. Haben Sie das schon verwunden?

Grube: Das war ein schwerer Schlag für uns, das sage ich unumwunden. Das Land Baden-Württemberg meinte, unser Tochterunternehmen DB Regio habe die Angebotspreise anders kalkuliert als vorgegeben und uns vom Verfahren ausgeschlossen. Dabei war unser Angebot finanziell das beste. Den Schuh müssen wir uns anziehen. Das hat hier richtig Ärger und auch personelle Veränderungen gegeben. . .

. . . die letztlich dazu geführt haben, dass der Bahn-Manager, der für das Desaster verantwortlich war, nun zu einem der beiden privaten Betreiber gegangen ist.

Grube: Entweder man hat Stil, oder man hat ihn nicht.

Der frühere Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) ist seit 1. Januar Bahn-Vorstand und als Nachfolger von Volker Kefer auch für die Infrastruktur zuständig. Was bedeutet das für Stuttgart 21?

Grube: Ronald Pofalla übernimmt damit auch die Zuständigkeit für Stuttgart 21. Er wird von April an den Lenkungskreis leiten.

Ihr Vertrag als Vorstandschef soll um drei Jahre verlängert werden, so war nach der jüngsten Aufsichtsratssitzung zu hören.

Grube: Es wurde angedeutet, dass der Vertrag am 30. Januar verlängert wird. Wegen einer verbindlichen Frist, der solche Vertragsangelegenheiten unterworfen sind, konnte das noch nicht im Dezember geschehen.

Ende 2020 wären Sie 69 Jahre alt. Vielleicht erleben Sie noch als aktiver Bahn-Chef die Einweihung von Stuttgart 21.

Grube: Wenn ich gesund bleibe, werde ich ganz sicher bei der Eröffnung in Stuttgart dabei sein. Ob als Bahn-Chef oder nicht, tut nichts zur Sache.

Das Interview führte Gerd Schneider.