Die Stuttgarterin Sybille Böpple liebt den Fernsehturm - und bietet Führungen durch das Bauwerk an. Foto: Hauptmann Quelle: Unbekannt

Von Elke Hauptmann

Stuttgart - An jenen 27. März 2013 kann sich Sybille Böpple noch genau erinnern: Kaum im Amt, hatte Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn die Schließung des Fernsehturms verfügt. Denn das Bauwerk könnte, wenn dort ein Brand ausbricht, zur Todesfalle für Besucher werden, rechtfertigte er damals die ebenso überraschende wie unpopuläre Entscheidung. „Ich habe geheult, als ich das hörte“, erzählt Böpple. „Ich bin gebürtige Stuttgarterin und liebe das Wahrzeichen meiner Heimatstadt.“ Dass der Fernsehturm nicht mehr für Gäste geöffnet sein sollte, sei für sie einfach unvorstellbar gewesen.

Jetzt - ein Jahr nach der Wiedereröffnung des für 1,8 Millionen Euro brandschutzsanierten Bauwerks - ist ihre Welt wieder in Ordnung. Ab sofort kann die Stadtführerin wieder Besucher durch den Turm begleiten. Wenn auch eingeschränkt: Aufgrund der strengeren Bestimmungen ist das Herzstück des Fernsehturms, das acht Meter tiefe Fundament, für den Publikumsverkehr gesperrt. Die Treppe hinab gilt als zu steil und zu eng für Gruppen. „Aber vielleicht findet man auch dafür eine Lösung“, hofft Böpple. „Vor vier Jahren hatte man ja auch nicht gewusst, wie man den Fernsehturm sanieren kann.“ Und dann habe man eine einzigartige Brandschutztechnik entwickelt, weiß sie zu berichten: Alle im Turmschaft verlaufenden Kabel seien mit flammhemmenden Materialien eingekapselt, die Hochfrequenzkabel zusätzlich mit horizontalen Schotts abgesichert worden.

Zumindest digital gibt es bei den Führungen einen Einblick in die Welt, die den Turm zusammenhält: 27 Meter misst die Bodenplatte im Durchmesser. Dem 3000 Tonnen schweren Stahlbetonturm wird hier ein Gewicht von weiteren 1500 Tonnen entgegengesetzt. Wie die Speichen bei einem Fahrrad, setzen Drahtseile das Ringfundament unter Spannung und festigen es.

„Keine Sorge, der fällt nicht um“, betont Böpple und zeigt auf das Modell. Dass der Turm umkippen könnte, diese Befürchtung hätten viele Stuttgarter anfangs gehabt. Sie unkten, dass Voyeure die Nackten im nahe gelegenen Luftbad würden beobachten wollen - und wenn alle auf dieser Seite der Aussichtsplattform stünden, könnte das Bauwerk einstürzen. Die Nackten sieht man übrigens nicht. Und das vom Fuß bis zur Antennenspitze 217 Meter hohe Meisterwerk der Ingenieurbaukunst steht immer noch. Aber es schwankt bei Wind und Wetter kaum merklich - „maximal sind es 15 Zentimeter“.

Gebaut wurde der Turm, um den Anfang der 1950er-Jahre eher mittelmäßigen Fernsehempfang in Stuttgart zu verbessern. Der damalige Süddeutsche Rundfunk (SDR) plante ursprünglich auf der höchsten Erhebung der Stadt, dem 485 Meter über dem Talkessel gelegenen Bopser, einen 200 Meter hohen Stahlgittermast. Doch ein solches Monstrum würde die Höhenlage verschandeln, mokierte sich der bekannte Stuttgarter Bauingenieur Fritz Leonhard. Er begeisterte die Spitzen des SDR von seiner Idee, statt eines reinen Zweckbaus einen Aussichtsturm mit einem Café zu bauen. „Allerdings wollte den keiner bezahlen.“ Potenzielle Sponsoren hätten Gegenleistungen erwartet, berichtet Böpple: Daimler wollte einen Mercedes-Stern auf der Spitze, Porsche zumindest einen Schriftzug am Turmschaft. Schließlich finanzierte der SDR den Bau allein. 1,7 Millionen D-Mark waren veranschlagt; als der Fernsehturm nach 20 Monaten Bauzeit am 5. Februar 1956 eingeweiht wurde, waren 4,2 Millionen D-Mark verbraucht.

Heftige Proteste hatten den Bau begleitet. Mal wurde der Turm als Schandmal, mal als Fremdkörper in der schönen Waldlandschaft bezeichnet. „Heute sind die Stuttgarter stolz auf ihn“, weiß Böpple. Kein Wunder: Er war der allererste Fernsehturm. Ein Prototyp, den man auf der ganzen Welt kopierte. „Allerdings haben seine Nachfolger nicht so eine schlanke Taille“, schwärmt Böpple vom Stuttgarter Original: Unten misst der Turmschaft im Durchmesser 10,80 Meter, unterhalb des Korbes nur noch 5,10 Meter. Zwei Aufzüge bringen die Besucher in 36 Sekunden zum Panoramacafé in 147 Metern Höhe und auf die drei Meter höher gelegene Aussichtsplattform. Dorthin führen auch 850 Stufen - für die braucht ein Profi wie Thomas Dold knappe fünf Minuten. Der Rekord-Treppenlauf ist eine von vielen Anekdoten, die die Turmführerin beim Blick über Stuttgart zum Besten gibt.

Mittlerweile braucht der Südwestrundfunk (SWR) den Fernsehturm fürs Fernsehen nicht mehr, das erste Fernsehprogramm der ARD wird über den benachbarten Fernmeldeturm der Telekom ausgestrahlt. Dennoch betreibt er ihn weiter. Man freue sich sehr über das große Interesse, sagt Julia Gärtner von der SWR Media Services GmbH. Am 30. Januar 2016 wurde der Fernsehturm wiedereröffnet, seither wurden 538 000 Besucher gezählt. Das seien deutlich mehr als vor der Schließung: 331 000 waren es im Jahr 2012.

www.fernsehturm-stuttgart.de