Menschen mit Vermüllungssyndrom lassen ihre Wohnung zusehends verkommen. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Jan-Philipp Schütze

Stuttgart - Die einen horten immense Vorräte an Lebensmitteln, andere sammeln Elektronikartikel, aus denen sie irgendwann einmal etwas bauen wollen. Alles ist wertvoll, nichts wird weggeschmissen. Zeitschriften stapeln sich bis zur Decke, jeder Raum ist vollgestellt, selbst die Fensterbänke sind belegt, aufräumen wird immer schwieriger. Eine geregelte Nutzung der Wohnung ist kaum noch möglich, soziale Kontakte bleiben aus.

Menschen mit Ordnungsstörungen brauchen professionelle Hilfe, doch entsprechende Angebote sind in der Landeshauptstadt rar. „In Stuttgart und der Region gibt es so gut wie keine Therapeuten, die sich auf das Messie-Syndrom spezialisiert haben“, sagt Veronika Schröter. Um das Angebot zu verbessern, will die 54-jährige Heilpraktikerin für Psychotherapie und Gestalttherapeutin deshalb ab Juli mit einem neuen Messie-Kompetenzzentrum in Bad Cannstatt verstärkt Fachkräfte schulen und so mehr Betroffene unterstützen. In dem Zentrum will die Fachfrau, die seit zwölf Jahren Fortbildungen gibt und Verbände und Institutionen im Umgang mit Messies schult, ihre Angebote bündeln.

Die Hilfe müsse sehr differenziert vonstattengehen, sagt Schröter. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung wisse sie, dass kein Fall wie der andere sei. „Den Messie als solchen gibt es nicht“, sagt sie. Viele würden davon ausgehen, dass bei Messies prinzipiell eine psychische Erkrankung vorliege. Dem sei aber nicht so. Einer wissenschaftlichen Studie zufolge, die die Universität Freiburg mit Schröters Unterstützung durchführte, weist ein Viertel der Betroffenen die Symptome des Messie-Syndroms auf, ohne dass weitere psychische Erkrankungen vorliegen. Bei ihnen sei das exzessive Sammeln und Horten von Dingen die Folge einer „Wertbeimessungsstörung“, wie Schröter es nennt. Diese Menschen seien nicht mehr in der Lage, zwischen schön oder nicht schön, wichtig oder unwichtig zu unterscheiden. Gesammeltes bleibe über Jahre im Wohnraum, weil es eine existenzielle Bedeutung bekommen habe. „Es sind meist sehr gebildete Menschen, beruflich in hohen Stellungen und Positionen“, sagt Schröter. Sie seien oft schon sehr früh in ihrem Leben dazu gezwungen wurden, sich Regeln zu unterwerfen. „Hauptsache angepasst sein und Leistung erbringen.“ Das Sammeln und Horten sei dann als ein Ausbruch aus diesen Zwängen zu verstehen.

Anders sei es bei Menschen, die unter einem klassischen Vermüllungssyndrom leiden, erklärt Schröter. Sie ließen ihre Wohnung zusehends verkommen, Schimmel und Ungeziefer seien die Folge. Menschen mit dem Verwahrlosungssyndrom wiederum würden sich nur eingeschränkt um ihre eigene Körperpflege kümmern. „Da herrschen ganz morbide Zustände“, sagt Schröter. Die Gründe für Vermüllung und Verwahrlosung könnten starke Psychosen, schwere Persönlichkeitsstörungen, Depressionen, Suchterkrankungen, Burnout oder Demenz sein. „Manchmal sind es auch ältere Menschen, die sich nicht eingestehen wollen, dass sie ihren Haushalt nicht mehr ohne fremde Hilfe führen können. Sie sagen: Ich habe doch schon immer alles selber gemacht.“ Eines hätten alle Betroffenen gemeinsam: „Sie wollen niemanden in ihre Wohnung lassen. Die Scham ist riesengroß.“

Mit ihrem Kompetenzzentrum will Schröter eine Anlaufstelle für Betroffene, Angehörige und nicht zuletzt auch für Nachbarn schaffen. „Messies haben die Tendenz, auch über ihre Wohnung hinaus Platz zu beanspruchen, beispielsweise im Treppenhaus. Ich halte es deshalb für ausgesprochen wichtig, dass Betroffene mit ihren Nachbarn ins Gespräch kommen und ihre Befindlichkeiten schildern“, sagt Schröter. Und zwar noch ehe die Hausverwaltung eingeschaltet werde.

Für das Kompetenzzentrum kooperiert Schröter unter anderem mit der Steinbeis-Stiftung, der Arbeiterwohlfahrt, dem Treffpunkt 50plus am Rotebühlplatz und dem Hera-Team der Caritas, das Hilfe für Menschen in vermülltem Wohnraum bietet. Ab April 2017 will Schröter zudem sogenannte Wohnraum-Coaches ausbilden. Sie sollen Messies dabei helfen, in ihren eigenen vier Wänden wieder für Ordnung zu sorgen. Bis 2018 möchte sie zudem erreichen, dass es landesweit in Sozial- und Jugendämtern sowie in sozialen Organisationen mindestens einen Ansprechpartner gibt, der sich mit der Thematik auskennt und als Berater aktiv werden kann.

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