Vor allem der Jakobsweg hat sich zu einem Massenphänomen entwickelt. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Stuttgart (ae) - Religiöse Motive ließen bereits vor Jahrhunderten die Menschen in Scharen pilgern. Das hat sich zumindest teilweise geändert. Heute wird vielfach gepilgert, um den Kopf freizubekommen, den Alltagsstress hinter sich zu lassen oder um eine Krise zu bewältigen. Es ist die Sehnsucht nach dem einfachen Leben, nach Langsamkeit, nach sich selbst. Und so sind Pilgerreisen auch auf der CMT gefragt.

Am Tag Vier nach Abgabe seiner Diplomarbeit an der Universität in Bochum macht sich Christian Kurrat von Pamplona aus auf den Weg. Sein Ziel: Santiago de Compestela, sein Fortbewegungsmittel: die eigenen Füße. Das, was er 2008 erlebt, wird ihn nicht mehr loslassen, es wird sogar Teil seines weiteren beruflichen Werdegangs. Zwei Jahre später kehrt Kurrat noch einmal auf den Jakobsweg zurück. Dieses Mal wandert er allerdings nicht selbst, sondern interviewt mehr als 100 Personen für seine Doktorarbeit, die den Titel die „Renaissance des Pilgerns“ tragen wird.

An diesem Donnerstagmorgen ist der Mitarbeiter der Fernuniversität Hagen Redner bei einem Empfang, den die großen Kirchen in Württemberg anlässlich der Reise- und Freizeitmesse CMT geben. Im Mittelpunkt steht das Thema „Was bewegt und was erwarten Menschen im Urlaub?“. Es dreht sich um einen neuen Markt, der von Experten mit den Begriffen „spiritueller Tourismus“ beschrieben wird. „Es ist ein großer Sehnsuchtsmarkt“, sagt Soziologe Kurrat. Und es ist ein Markt, der boomt. Etwa 13,5 Milliarden Euro werden nach einer Schätzung der UN-Tourismusorganisation pro Jahr weltweit in entsprechende Reisen investiert.

Dazu gehört ein Aufenthalt in einem Kloster ebenso wie das Wandern zu prominenten Pilgerzielen - wie Lourdes in Frankreich, Fatima in Portugal, Santiago de Compostela in Spanien. Alle Touren verzeichnen seit Mitte der 1990er-Jahre einen deutlichen Anstieg an Pilger. Auch an der Anzahl der Buchtitel lässt sich der Trend festmachen: Gab es laut Kurrat vor drei Jahrzehnten lediglich ein Dutzend Werke, die sich mit dem Thema beschäftigten, waren es 2015 mehr als 430. Ein Werk ragt dabei besonders heraus. Den Bestseller „Ich bin dann mal weg“ veröffentlichte Hape Kerkeling im Jahr 2006. Die Reisebeschreibungen des Entertainers wanderten seither mehrere Millionen Mal über die Ladentheken. Das Buch regte nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Nachmachen an: In der Statistik der in Santiago de Compostela eintreffenden Pilger lässt sich seit Erscheinen des Sachbuchs eine deutliche Zunahme an deutschen Wanderern feststellen. Um etwa 70 Prozent sei die Zahl gestiegen. „Man spricht hier vom ‚Kerkeling-Effekt‘.“

Warum pilgern Menschen? Auch mit dieser Frage hat sich Kurrat beschäftigt und fünf Idealtypen ausgemacht. Da gibt es jene, die das stundenlange Wandern dazu nutzen, eine Rückschau auf das eigene Leben zu ziehen. Andere hoffen nach schmerzhaften Ereignissen, zum Beispiel dem Tod eines geliebten Menschen, wieder zur Ruhe zu kommen. Eine dritte Gruppe will sich eine Auszeit von den Anforderungen im Alltag nehmen. Und es gibt noch jene Pilger, die sich in einer Phase des Übergangs befinden und jene, die einen Neustart in ihrem Leben vorbereiten.

Die CMT ist bis einschließlich Sonntag täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet.