26.02.2017 Eine Frau wurde in Reichenbach getötet. Der Ehemann wurde als tatverdächtig verhaftet.

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Von Claudia Bitzer

Die Katharinenstraße in Reichenbach ist eine ruhige Anliegerstraße mit Mehrfamilienhäusern am westlichen und östlichen Rand und dazwischen zweigeschossige Würfeln. Einfamilienhäuser ohne große Gärten, die man sich damals, als das Wohngebiet vor ein paar Jahren von der Gemeinde entwickelt wurde, noch halbwegs leisten konnte. Dort konnte man noch ein Einfamilienhaus „zum Preis einer Wohnung“ bekommen. So schildert der Reichenbacher Bürgermeister Bernhard Richter das Viertel. Ideal für Familien: Ortszentrum und Schule sind nur wenige Gehminuten entfernt.

Beziehungsprobleme als Tatmotiv

Seit Sonntag liegt jedoch ein Schleier über dem Wohngebiet. Ein 34-jähriger Familienvater wurde beschuldigt, seine 32-jährige Frau bei einem Streit getötet zu haben. Mittlerweile steht fest, dass er es auch getan hat. Laut der gemeinsamen Mitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft vom Montag ist er geständig, macht teilweise aber Erinnerungslücken geltend – er stand bei der Festnahme unter Alkoholeinfluss.

Auch er hatte mit seiner Familie in der Katharinenstraße gebaut. Und zwar erst vor knapp eineinhalb Jahren. Jetzt sind die Rollläden heruntergelassen. Das kleine Rasenstück zum Nachbarhaus hin, wo die Frau noch Hilfe gesucht hatte, ist vereinsamt. Vor der versiegelten Haustür brennen Kerzen und Teelichter.

Die Obduktion am Montag hat den Verdacht der Polizei auf vorsätzliche Tötung erhärtet. Die Frau starb „an den Folgen von stumpfer Gewalteinwirkung gegen Kopf und Hals“, heißt es in der gemeinsamen Presseerklärung der Staatsanwaltschaft Stuttgart und des Polizeipräsidiums Reutlingen. Das Opfer ist also erdrosselt und/oder erschlagen worden. Mehr will Jan Holzner, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft, derzeit nicht preisgeben. Auch über den Tathergang schweigt er sich aus. Wie berichtet, hatten Nachbarn die Polizei gerufen, als das Ehepaar am Sonntag gegen 3.30 Uhr im Freien stritt, der Mann handgreiflich wurde und sich die Frau zu ihnen flüchten wollte. Als die Beamten kamen, fanden sie das Ehepaar in seinem Einfamilienhaus – die Frau war tot. Und es waren den Einlassungen des Ehemanns zufolge ganz offensichtlich Beziehungsprobleme, die die Ermittler nun als Tatmotiv in Betracht ziehen. Er sitzt jetzt in Untersuchungshaft, die beiden zwölf und zehn Jahre alten Kinder hatte die Polizei bereits am Sonntag bei Verwandten untergebracht.

Ende September 2015 war der 34-Jährige mit seiner zwei Jahren jüngeren Frau und den beiden heute zwölf und zehn Jahre alten Kindern in der Katharinenstraße eingezogen. Damals lebten sie bereits seit mehr als zehn Jahren in Deutschland. Das erzählen Juri Mustjace (39) und seine Frau Lydia (34), die im Frühjahr 2015 auf dem Grundstück gegenüber gebaut hatten. Beide Familien sind Russlanddeutsche. „Sie kamen aus Sibirien, wir aus Kasachstan.“ Aber nicht nur das hat sie verbunden: „Wir waren befreundet, unsere Tochter hat oft bei ihrer Tochter übernachtet. Und am Freitag haben wir Frauen noch zusammen gefrühstückt“, berichtet Lydia Mustjace. „Wir sind total geschockt.“

Der 34-Jährige habe bei Coca-Cola in Deizisau gearbeitet, seine Frau als Küchenhilfe in der Sportschule Ruit. Die Kinder gingen in Reichenbach zur Schule, die Tochter besuchte die fünfte Klasse, der Sohn die siebte. „Wir können uns überhaupt nicht vorstellen, wie so etwas passieren konnte. Die beiden waren ein Vorzeigepaar, hatten einen liebevollen Umgang miteinander. Wenn er draußen eine Zigarette rauchte, ging sie mit, um ihm Gesellschaft zu leisten. Wenn er das Auto putzte, kam sie mit einem Kaffee. Und weil sie nicht so gut einparken konnte, hat er das immer für sie erledigt“, erzählen die Mustjaces. Eher zurückgezogen hätten die beiden gelebt, sie sei etwas offener als er gewesen. Polizeisprecherin Andrea Kopp: „Man sieht eben immer nur bis zur Haustür.

Gemeinde unter Schock

„Ich kenne die Hintergründe nicht. Aber es ist natürlich immer furchtbar, wenn so etwas passiert“, ist auch Bürgermeister Bernhard Richter sichtlich geschockt. Seit 24 Jahren ist er Verwaltungschef der 8300-Einwohner-Gemeinde. „Und ich habe so etwas bisher Gott sei Dank noch nie erleben müssen.“

Bei 8300 Mitbürgern kennt man zwar nicht jeden. Aber die Chance, dass man in einer Kommune dieser Größenordnung auch die Gesichter einer Tragödie vor Augen hat, ist doch relativ groß. „Vor allem bei den Müttern“, erzählt eine Mitarbeiterin in der Bäckerei samt Café in der Ortsmitte. „Mein Sohn war mit der Tochter der Familie in einer Klasse.“ Und man fühlt mit. Die Zehnjährige hatte während der Tat bei der Oma in Esslingen übernachtet, der Zwölfjährige hatte das Unfassbare in seinem Bett zuhause verschlafen. Jetzt fehlt ihnen die Mama – und der Papa.