Akademieleiter Hans-Christoph Rademann (links), Gernot Rehrl (Intendant), Stuttgarts Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann und Henning Bey, Chefdramaturg der Bachakademie gestern im Mercedes-Benz Museum. Foto: Holger Schneider Quelle: Unbekannt

Von Thomas Krazeisen

Stuttgart -Hoch oben in den achten Stock des Mercedes-Benz Museums, wo den Besucher beziehungsreiches Pferdeklappern auf die PS-starke Tour d‘horizon durch 130 Jahre Automobilgeschichte einstimmt, hat die Internationale Bachakademie (IBA) dieses Jahr zur Präsentation des Saison- und des Musikfest-Programms geladen. Die Location ist in erster Linie der erfolgeichen Kooperation mit einem Hauptsponsor geschuldet, die im Übrigen auch ein historische Note hat, schließlich kannten sich Gottlieb Daimler und der Klavierbauer William Steinway persönlich. Der Soundtrack des Hufschlags liefert zugleich ein passendes Klangbild auch zur Erneuerungsdynamik der altehrwürdigen Bachakademie unter ihrem Leitungsgespann Hans-Christoph Rademann und Gernot Rehrl. Anders als an diesem Morgen im Automobilmuseum tummeln sich in den Konzerten der Bachakademie noch immer nicht unbedingt so viele junge Leute, wie sich das der Akademieleiter und sein Intendant vorstellen. „Vermittlungsarbeit“ war denn auch einer der am häufigsten bemühten Begriffe, wenn es um die Erläuterung des notwendigen Strukturwandels der Bachakademie geht. Man sei schon ein gutes Stück vorangekommen, was die Erweiterung und vor allem Verjüngung des Publikums angelangt, aber „die Trendwende ist noch nicht geschafft“, so Rademann.

Zurück zu den Wurzeln

Neben neuen Formaten für neue Zielgruppen spielt bei der strukturellen Neuausrichtung der Bachakademie die Rückbesinnung auf die eigene Tradition und die barocken Wurzeln eine nicht minder wichtige Rolle. Auch historisierende Namen sind nicht immer bloß Schall und Rauch - in diesem Fall künden sie vom Feuer der Leidenschaft für die historisch informierte Aufführungspraxis. Wenn künftig die beiden Ensembles der Bachakademie - Bach-Collegium Stuttgart und Gächinger Kantorei - unter dem neuen Label Gaechinger Cantorey firmieren, dann drückt sich darin das Bekenntnis zur eigenen ruhmreichen Geschichte, die in den Fünfzigerjahren unter Helmuth Rilling in einem kleinen Alb-Flecken begann, ebenso aus wie das an der Tradition geschärfte Selbstverständnis eines, wenn man so will, ganzheitlichen Klangkörpers.

Die Gründung eines eigenen Originalklangorchesters ist klangästhetisch für Akademieleiter Rademann „alternativlos notwendig“. Sie hat freilich, nicht zuletzt in Anbetracht der Dichte der Konkurrenz in diesem Segment, ihrerseits Alternativen bei der Besetzung des neuen Klangkörpers, vor allem auch in der Konzertmeisterposition, zur Folge. Zu hören und sehen sein werden dann ab Herbst nicht nur alte Instrumente, sondern vermehrt auch neue Gesichter ausländischer Spitzenensembles wie The English Concert oder denen von John Eliot Gardiner.

Die Karten werden also auch personell neu gemischt. Klar dürfte sein: Auch wenn, wie Rademann betont, prinzipiell jedem Musiker und Sänger der bisherigen Ensembles die Türe in die neue „Cantorey“ offensteht, so dürfte in der Praxis vor allem bei den Instrumentalisten ein spürbarer künstlerischer Blutaustausch anstehen. Als musikalische Bereicherung sowie sicht- und hörbares Zentrum des neuen, „sächsisch angehauchten“ Stuttgarter Bachstils kündigte Rademann den Einsatz einer originalgetreu nachgebauten Silbermann-Truhenorgel an.

Von vielerlei Reichtum in weltlichem wie geistlichem Betracht handelt das diesjährige Musikfest der Bachakademie vom 1. bis zum 11. September. Es fächert in rund 40 Veranstaltungen an 19 Spielorten das Leit-Thema auf. Beim Eröffnungskonzert mit Monteverdis „Marienvesper“ wird erstmals beim Musikfest in der Leitung von Rademann der neue barocke „Stuttgart Sound“ erklingen. In der Mittagsreihe „Sichten auf Bach“ wird er am 6. September in der Stuttgarter Stiftskirche Premiere feiern, wenn Rademann und die Gaechinger Cantorey im Spiegel von drei Bach-Kantaten den Weg von vergänglichen Schätzen irdischen Glücks zu ewigem Reichtum im Himmel nachzeichnen. Und auch am Ende des Musikfestes wird die neue Klanghandschrift kenntlich - und zugleich die Händel-Oratorientradition fortgeschrieben: Beim Schlusskonzert am 11. September steht im Beethovensaal „L‘Allegro, il Penseroso ed il Moderato“ auf dem Programm; als originalklangliches i-Tüpfelchen gleichsam wird bei dieser Betrachtung über das rechte Maß im menschlichen Leben Händels Orgelkonzert op. 7, Nr. 1 zur Einleitung des dritten Teils des Oratoriums just auf der neuen Truhenorgel erklingen.

Um regionalen Reichtum geht es bei den etablierten Musikfest-Formaten. Die „Wandelkonzerte zum Wein“ in Uhlbach werden auch diesmal sozusagen als Amuse-Gueule am Vorabend des Musikfests serviert (1. September). Die Reihe „Unternehmen Musik“ wird zum zweiten Mal aufgelegt, abermals an prominenten schwäbischen Standorten und mit exquisiten Musikern. So erklingt im Mercedes-Benz Museum Piano-Power mit dem Gershwin Piano Quartet. Fortgesetzt wird auch die abendliche Club-Schiene BACH.LAB, die Barockmusik auf Elektronik und Jazz treffen lässt.

Neu im Musikfest-Programm ist das Format „NachGedacht“, bei dem ein Kurzkonzert mit einem persönlichen Statement eines Unternehmers, Politikers oder Mäzens zum Musikfest-Thema kombiniert wird. Auch das „Klangatelier“ ist neu. Rademann und sein reformiertes Ensemble werden dem Publikum Einblicke in ihre neue „Originalklangwerkstatt“ geben. Dabei wird am 6. September das neue Barockorchester mit Wieland Backes von einem alten Moderations-Hasen vorgestellt.

Im Rahmen der Akademiekonzerte werden an fünf Abenden in der Liederhalle wie gehabt Musik von Bach bis ins 21. Jahrhundert präsentiert. Außer der Gaechinger Cantorey werden das neue, fusionierte SWR Symphonieorchester und das Stuttgarter Kammerorchester auftreten. Passionsmusiken und Romantische Frühlingsgesänge in der Reihe „Gott und die Welt“ runden das Saison-Programm ab, bei dem nicht zuletzt im äußerst erfolgreichen Jugendformat „BACHBEWEGT! TANZ!“ das große Reformationsjubiläum 2017 seine Schatten vorauswirft. Rademann möchte als Coup die tänzerisch-szenische Einstudierung der Matthäus-Passion nicht nur als DVD auf den Markt, sondern auch - idealerweise an Karfreitag 2017 - ins Fernsehen bringen.

All das kostet Geld. Viel Geld. Auf etwa 4,4 Millionen Euro beläuft sich laut Intendant Rehrl der Jahresetat der Bachakademie. Neben den Zuschüssen der Stadt Stuttgart (ca. 800 000 Euro) und des Landes (ca. 900 000 Euro) sowie den durch Ticketing und Gastspiele erwirtschafteten Einnahmen (ca. 1,3 Millionen Euro) spielen zunehmend Sponsoring und Spenden eine Rolle (ca. 1,4 Millionen Euro). Auch wirtschaftlich schlägt das Unternehmen IBA in schwierigen Zeiten offenbar die richtigen Saiten an: Im vergangenen Jahr stand ein kleines Plus zu Buche.

Der Kartenverkauf für das Musikfest beginnt am 2. Mai, für die Akademiekonzerte, die Musikvermittlungsprogramme sowie die Reihe „Gott und die Welt“ am 8. August.

www.bachakademie.de